Herr Brustik, als Moderator und Speaker arbeiteten Sie bereits für Google, IBM und Volkswagen. Wie schafft man es auf diese Bühnen?
Das entstand eher aus der Not. Als ich vor zwölf Jahren als Moderator anfing, wollte ich mich auf das Thema Nachhaltigkeit spezialisieren. Da war das Thema aber noch nicht relevant. Die kleinen Events, die es damals gab, konnten keine Moderatoren bezahlen. Deswegen fokussierte ich mich zunächst auf die Digitalisierung. Dieses Thema verknüpfte ich dann mit Start-ups und etablierten Unternehmen. Seit 2019 wird Nachhaltigkeit aber immer relevanter. Durch meine vorherige Arbeit bin ich nun in der Wirtschaft entsprechend vernetzt.
Als Moderator sind sie oft auch eine Art Motivator. Sie müssen Diskurs ermöglichen, das Publikum zur aktiven Teilnahme bewegen. Wie schaffen Sie es, dass Menschen gerne zuhören, dass sie mitdenken?
Entscheidend ist, dass ich herausfinde, was das Bedürfnis des Publikums ist. Deshalb bin ich Moderator geworden. Ich möchte den Menschen zuhören, verstehen, was sie bewegt und gemeinsam Lösungen finden. Die Probleme sind bekannt. Meist fehlt aber der Mut, sie auszusprechen. Wenn ich Sorgen in persönlichen Gesprächen aufnehmen und Lösungen aufzeigen kann, sind die Menschen direkt motivierter.
Sprechen wir über den aufkommenden Begriff der Twin Transformation. Er ist, das zeigte das Vorgespräch, Ihnen wichtig. Was bedeutet er?
Die Twin Transformation kombiniert die Digitalisierung und den Nachhaltigkeitsaspekt. Beide Prozesse hängen synergetisch zusammen und ergänzen sich. Das Gute ist: Die technischen Lösungen sind bereits zumeist da. Wir müssen diese nur verstehen und herausfinden, wie wir aus der Twin Transformation erfolgreiche Business-Modelle erschaffen können.
Warum klappt das bislang nicht so gut mit dem Herausfinden?
In vielen Unternehmen mangelt es noch an der nötigen Haltung. Auch fehlt oft eine klare Vision. Aber nur mit dieser kann die Twin Transformation erfolgreich gelingen. Einfach ist das nicht. Denn besonders die Nachhaltigkeit erfordert nicht nur einen umfangreichen Change-Prozess, sondern auch einen tiefgreifenden Wertewandel. Das unterscheidet sie von der Digitalisierung. Positiv ist: Durch Verordnungen der EU gibt es klare Deadlines für die Vorhaben im Sinne der Nachhaltigkeit. Das ist eine Dynamik, die es in der Digitalisierung nicht so gibt.
Wir müssen also mit vollem Aufwand Emissionen reduzieren und parallel resiliente Lösungen für die Auswirkungen auf das Ökosystem und die Wertschöpfungsprozesse entwickeln.
Die Nachhaltigkeitsziele sind immer wieder Thema vieler Diskussionen. Und ja: Es gibt Fortschritte. Leider nicht unbedingt beim Thema Klima. Sind die Ziele dort überhaupt – global betrachtet – erreichbar?
Aktuell nicht. Sechs von neun planetaren Grenzen sind bereits überschritten. Uns bleibt nur ein minimales Fenster, das Schlimmste noch abzuwenden. Gleichzeitig ist jetzt schon klar, dass wir uns auch auf irreversible Dynamiken von überschrittenen Kipppunkten einstellen müssen. Wir müssen also mit vollem Aufwand Emissionen reduzieren und parallel resiliente Lösungen für die Auswirkungen auf das Ökosystem und die Wertschöpfungsprozesse entwickeln.
Eine komplexe Herausforderung, der sich Unternehmen stellen müssen. Was braucht es dafür?
Das kann ich an meinem persönlichen Beispiel erklären. Früher konnte ich Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit als Moderator noch nicht verbinden. Der Markt fehlte. Gleichzeitig bewunderte ich, wie sich zahlreiche Pioniere der Nachhaltigkeit den Markt selbst schafften. Ich meine damit Unternehmer wie Reinhard Schneider von Frosch oder den Bauunternehmer Hubert Rhomberg. Um herauszufinden, was diese besonderen Köpfe anders machen, interviewe ich sie in meinem Podcast »Gewinne Zukunft«. Dabei begegnen mir immer wieder fünf entscheidenden Punkte. Diese haben alle (erfolgreich) nachhaltig agierenden Unternehmerinnen und Unternehmer gemeinsam. Konkret heißt das:
- Selbstwirksamkeit und Vision
Die Unternehmer*innen an der Spitze stellen sich auch persönlich den existenziellen Fragen des Klimawandels, um ihre eigene Wirksamkeit zu definieren und eine ansteckende Vision zu formulieren.
- Kulturwandel
Diese Unternehmen haben begriffen, dass es ein Changemanagement und eine klare Vision für die Belegschaft braucht, damit die Transformation erfolgreich verlaufen kann.
- Empowerment
Nachhaltigkeit ist ein komplexes Thema. Deswegen investieren diese Unternehmen intensiv in die Skills und den Wissensaufbau der Mitarbeitenden.
- Twin Transformation
Nachhaltigkeit gelingt nur im Zusammenspiel mit der Digitalisierung und technologischen Lösungen.
- Ökosysteme
Diese Unternehmen denken nicht nur an die eigene Vision, sondern setzen auf gemeinsame Positionen und Lösungen mit den Wettbewerbern.
Besonders in Deutschland scheitern viele Innovationen ohne eine echte Chance. Pionierinnen und Pioniere, wie Sie sie ansprechen, müssen einen langen Atem mitbringen. Denn Menschen scheuen Veränderungen. Sie haben Angst davor. Das, was sich bewährt hat, vermittelt dagegen Sicherheit. Wie sorgt man kommunikativ dafür, dass es mehr Offenheit für Veränderung oder zumindest für neue Themen gibt?
Das ist die große Kunst. Ich bediene mich da gern an einem LinkedIn-Beitrag von Dejan Kosmatin. In diesem beschreibt er eine Theorie des Sozialphsychologen Kurt Lewin. Sein Ansatz: Menschen wollen in ihrem Umfeld nur ungern Spannungen wahrnehmen und diese schnell auflösen. Der Mensch will Harmonie. Dieses Streben nutze ich, indem ich die Spannung klar benenne, aber gleichzeitig Orientierung durch Lösungen gebe. Dadurch ist das Publikum involvierter. Es weiß, was problematisch ist, wird damit aber nicht allein gelassen. Es bekommt eine Lösungsoption, die wieder zur Harmonie führen kann.
Die Klimaziele sind kein »nice to have«, sondern ein essenzielles Risiko für die deutsche Wirtschaft.
Wie könnte so eine lösbare Spannung aussehen?
Ein passendes Beispiel ist die Nachhaltigkeit in Deutschland. Die Klimaziele sind kein »nice to have«, sondern ein essenzielles Risiko für die deutsche Wirtschaft. Trotzdem sorgen sich Unternehmen um ihre aktuelle Wertschöpfung und verharren im Status quo. Das löst das Problem nicht. Im Gegenteil: Auf Dauer wird es schlimmer. Deswegen zeige ich auf, wie Lösungen wie Green Tech oder die Dekarbonisierung in Zukunft eine erfolgreiche Wertschöpfung sicherstellen können.
Als Moderator oder Speaker touchieren sie nur für kurze Zeit ein Unternehmen – das aber intensiv. Sie sind ein bisschen der Fremde, der kurz Impulse da lässt und wieder geht. Wie wichtig ist es, dass Organisationen sich regelmäßig das Know-how von außerhalb einholen?
Das ist extrem notwendig. Themen wie die Twin Transformation gelingen nicht, wenn Unternehmen nur an sich selbst arbeiten. Es braucht gemeinsame Lösungen innerhalb einer Branche. Firmen müssen in einem Ökosystem denken. Das ist für viele völlig neu und genau deshalb braucht es externe Expertise, die dabei unterstützt. Menschen, die von außen kommen, können oft erst zeigen, was möglich ist.
Mit Wettbewerbern nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen, klingt für viele Unternehmen unvorstellbar. Wie anstrengend ist die Überzeugungsarbeit?
Bei Unternehmen, die einen einzigartigen USP haben, ist es schwer. Warum sollen sie etwas teilen, was sie besonders macht? Trotzdem existieren zwei Treiber. Die äußere Regulation durch Normen und Gesetze wie die EU-Taxonomie oder die CS3D. Dazu kommt der wirtschaftliche Aspekt. Nur wer heute gemeinsam an die Zukunft denkt und Potenziale erkennt, wird erfolgreich bleiben. Alleine wird kein Wandel gelingen.
Inwieweit hat sich der Ansatz Twin Transformation schon in der deutschen Wirtschaft durchgesetzt?
Das hängt davon ab, wen man wo fragt. In der IT-Branche ist das Thema sehr präsent. In vielen anderen Bereichen ist der Begriff aber völlig neu.
Wir glauben weiterhin, dass wir unsere hohen Standards trotz der Veränderung erhalten können. Das ist unrealistisch!
Deutschland hat eine ambivalente Haltung zur Transformation. Einerseits wirkt das Land manchmal sehr engagiert, dann wieder zaudernd und zögert. Warum kommt eine wohlhabende Gesellschaft nicht aus dem Knick?
Das hat mehrere Gründe. Zum einen denken wir immer noch zu wenig über die Zukunft nach. Es gibt zu wenige Menschen, die Nachhaltigkeit tiefgreifend verstehen, die das Potenzial der Technologien erkennen.
Außerdem bremsen uns veraltete Denkmuster aus. Wir glauben weiterhin, dass wir unsere hohen Standards trotz der Veränderung erhalten können. Das ist unrealistisch! Zudem fehlen der Mut und die Vision, dass Deutschland beim Lösen der aktuellen Herausforderungen global eine relevante Rolle spielen und an der wachsenden Wertschöpfung partizipieren kann.
Stattdessen klammern wir uns ausschließlich an die aktuelle Wertschöpfung. Ein gutes Beispiel ist die Automobilwirtschaft. Wir definieren uns nur über die aktuellen Produkte und nicht über die Pionierinnen und Pioniere dahinter, die Deutschland mit ihrem Innovationsgeist groß machten. Das waren Menschen, die den Sprung von der Kutsche zum Automobil gewagt haben. Die in der Veränderung eine Chance sahen.
Hat Deutschland eher ein Bildungs- oder ein Kulturproblem?
Definitiv ein Kulturproblem. An Wissen mangelt es uns nicht, auch wenn wir über anspruchsvolle Themen sprechen. Vielmehr fehlen eine angemessene Kommunikation, das Aufzeigen einer Vision und der Fokus auf funktionierende Projekte.
Durch ihren Job lernen Sie viele Menschen und Unternehmen kennen. Was macht Mut, dass die Twin Transformation hierzulande gelingen kann?
Hubert Rhomberg ist ein tolles Beispiel dafür. Der diplomierte Bauingenieur entwickelte eine besondere Hybridbauweise für Gebäude. Bis zu 90 Prozent der entstehenden Emissionen können eingespart werden. Damit das Programm weltweit für alle zugänglich ist, teilte er es auf einer digitalen Plattform. Das zeigt eine perfekte Ergänzung von Digitalisierung und Nachhaltigkeit. Und es ist ein tolles Beispiel für das Denken in Ökosystemen.
Wir vergeuden Expertise und besetzen keine Zukunftsmärkte. Stattdessen klammern wir uns an alte Strukturen.
Wo sehen Sie große Potenziale für die hiesige Wirtschaft – vielleicht sogar eine Art Poleposition?
Deutschland ist eine der global führenden Länder im Bereich Green Tech – wenn nicht sogar allein führend. Auch bei Wasserstofftwertschöpfungskette oder in Technologien für den entstehenden Markt um Carbon Removal sind wir sehr gut aufgestellt. Allerdings verschenken wir diesen Vorsprung momentan. Wir vergeuden Expertise und besetzen keine Zukunftsmärkte. Stattdessen klammern wir uns an alte Strukturen. Dadurch verspielen wir momentan unsere letzten Joker, um in der Zukunftswirtschaft ein relevanter Markt zu sein. Wir müssen uns trauen, in Zukunftstechnologien zu investieren. Auch wenn die Erfolge vielleicht erst später greifbar sind.
Hier ist die Sichtweise der Unternehmen aber deutlich klarer als in der Politik. Dort wird immer noch diskutiert. In der Wirtschaft ist vieles schon beschlossen.
Wir sprechen beim Thema Twin Transformation viel von technologischen Aspekten. Welchen Einfluss hat der Faktor Mensch, damit sie gelingen kann?
Der Mensch ist ein unglaublich wichtiger Baustein. Besonders Führungskräfte tragen viel Verantwortung. Sie müssen den Wandel glaubwürdig vorleben, an die Organisation weitergeben und ihren Teams einen klaren Weg aufzeigen. Dafür benötigt es womöglich einen Wechsel von Leader- zu Stewardship. Denn die Twin Transformation ein Thema, das auch unbequeme Antworten liefern wird.
Welche Skills müssen Menschen mitbringen, die die Veränderung treiben und dazu motivieren wollen?
Die Fähigkeit für Perspektivwechsel, Verwundbarkeit und Empathie. Das sind drei elementare Punkte, die es braucht, wenn man andere Menschen für die Transformation begeistern möchte. Denn besonders beim Thema Nachhaltigkeit hilft der erhobene Finger nicht. Wir können den Menschen das Thema nicht aufdrücken. Wir müssen überzeugen. Innovationstreiberinnen und -treiber müssen andere Standpunkte akzeptieren, zuhören und diese Themen in ihre Vision integrieren. Dann wird sie auch für die Gegenseite greifbarer. Nur so können sie Menschen abholen und für ein gemeinsames Ziel begeistern. Und natürlich braucht es strategisches Denken und unternehmerische Chuzpe.
Sie lernen jeden Tag komplexe Sachverhalte kennen. In den Medien hagelt es negative Schlagzeilen. Wie bewahren Sie ihren Optimismus?
Yvonne Zwick, die Vorsitzende des Bundesarbeitskreises »Umweltbewusstes Management« , hat mich mal inspiriert. Sie sprach von »der heiteren Gelassenheit.« Ich fokussiere mich auf das, was ich beeinflussen kann. Das ist keine Garantie für einen guten Ausgang, aber ich habe meinen Teil beigetragen. Außerdem zeigt sich in der Gesellschaft immer mehr Dynamik. Auch bei vermeintlich kleinen Themen. Sie lassen mich an eine positive Zukunft glauben.
Was wäre dafür ein Beispiel?
Es freut mich, dass die öffentliche Diskussion zu pflanzlicher Ernährung deutlich entspannter und rationaler geworden ist. Vor dem Jahr 2019 war das undenkbar und mit sehr viel Ablehnung und Wut verbunden. Mittlerweile hat sich das Thema an den Tischen etabliert – und entspannt. Der Wandel setzt ein – langsam, aber stetig.