Jannik Kroll
von Jannik Kroll
 
06.12.2023
 
8 Min.
Dr. Benny Gutmark

Diese Regularien beschäftigen aktuell die Wirtschaft:

LKSG - Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Dieses zwingt Unternehmen dazu, die Menschenrechte innerhalb von Lieferketten zu schützen. Selbiges gilt für diverse Aspekte des Umweltschutzes. Galt zunächst ab Januar 2023 für alle Unternehmen in Deutschland mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden. Ab 2024 muss jede Organisation mit mehr als 1.000 Beschäftigten diverse Auflagen erfüllen.

Die CSRD – Die Corporate Sustainability Reporting Directive. Sie sorgt dafür, dass europäische Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsberichterstattung ausweiten müssen. Auch Lücken bei der Beitragspflicht werden geschlossen. Das Ziel: verbindliche Berichtsstandards auf EU-Ebene einführen. Gilt ab Anfang 2024 für alle Unternehmen, die mehr als 150 Millionen Euro Umsatz in der EU erwirtschaften.

CS3D: Die CS3D verpflichtet alle EU-Mitglieder zur Verankerung von diversen gesetzlichen Pflichten. Diese sollen die Menschenrechte innerhalb von Lieferketten schützen. Kernelemente dieser Anforderungen sind die Feststellung, Beendigung, Verhinderung, Abmilderung und Verantwortlichkeit für negative Auswirkungen auf Menschenrechte und Umwelt. CS3D soll EU-weit gleiche Rahmenbedingungen für Unternehmen schaffen.

 

Herr Gutmark, Unternehmen stehen momentan aus mehreren Gründen vor gravierenden Herausforderungen. Wie schwer wiegt dabei die Thematik Regulatorik?

Zunächst müssen wir die Gesamtheit der wirtschaftlichen Herausforderungen betrachten. Dazu zählen die Inflation, die hohen Energiepreise, der Fachkräftemangel. Die nationale und EU-weite Regulatorik im Bereich ESG (Environmental Social Governance) kommt erschwerend hinzu. Sie wird Unternehmen letztlich zur Transformation zwingen.

Wo werden Unternehmen dann strukturell gefordert?

Besonders im Change- und Prozess-Management spüren wir Herausforderungen. Unternehmen müssen sich in den Themen neu strukturieren und kostspielige Projekte initiieren. Teilweise spüren die Organisationen jetzt, was sie vernachlässigt haben. Das betrifft vor allem die Lieferketten und die Nachhaltigkeit.

Das Problem ist: Unternehmen kennen ihre Lieferketten nicht gut genug, auch weil sie auf zu viele Zulieferer setzen.

Über Supply Chains wurde besonders während der Pandemie viel gesprochen. Damals gab es erhebliche Schwierigkeiten. Viele Unternehmen offenbarten poröse Strukturen. Was kritisieren Sie als selbstständiger Berater?

Ich mag das Wort »kritisieren« nicht, mir ist »mahnen« lieber. Das suggeriert, dass wir noch etwas bewerkstelligen können. Das Problem ist: Unternehmen kennen ihre Lieferketten nicht gut genug, auch weil sie auf zu viele Zulieferer setzen. Es gibt Finanzhäuser in Deutschland, die bis zu 40.000 Parteien in ihren Supply Chains haben. Dass dort der Überblick verloren geht, ist nur naheliegend. Doch genau das macht die geforderten Reportings durch die Regulatorik sehr komplex. Wie soll man bei so vielen Zulieferern alle kontrollieren können? Auch steigt mit der Anzahl der involvierten Firmen die Wahrscheinlichkeit, dass einige Partner durchs Raster fallen.

Was ist die Lösung, die Sie als Berater empfehlen?

Verdichten. Ja, viele Zulieferer zu haben, mag oberflächlich sicher und unabhängiger machen. Aber Stand heute sind aufgeblähte Lieferketten eine Belastung. Auch weil die Qualität der Partnerschaften dadurch erfahrungsgemäß sinkt.

In den vergangenen Jahren gab es auf nationaler Ebene bereits einige neue Anforderungen. Unter anderem das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Wie hat die Wirtschaft darauf reagiert?

Die Unternehmen haben zumeist die Minimalanforderungen umgesetzt, damit sie die Reportingpflichten erfüllen. Das ist immerhin ein Anfang, reicht aber für die folgenden Reformen nicht.

Das Anliegen, die Menschenrechte innerhalb von Lieferketten zu schützen, ist ein wichtiges. Grundsätzlich muss ich aber sagen, dass die Wirkungsweise des Gesetzes sehr begrenzt ist.

Manche kritisierten damals, dass zu viele Aspekte bei diesem Gesetz auf Freiwilligkeit beruhen würden. Was ist Ihre Experteneinschätzung zur Wirksamkeit des LKSG?

Das LKSG zielt auf den Aspekt »Social« im Rahmen der ESG ab. Das Anliegen, die Menschenrechte innerhalb von Lieferketten zu schützen, ist ein wichtiges. Grundsätzlich muss ich aber sagen, dass die Wirkungsweise des Gesetzes sehr begrenzt ist. Die Bedingungen bei außereuropäischen Zulieferern lassen sich nur schwer nachverfolgen. Am Ende könnte man das Gesetz höchstens richtig anwenden, wenn betroffenen interkontinentalen Unternehmen der Ausschluss vom Markt droht. Das passiert jedoch allenfalls in Ausnahmen. Zur Ehrlichkeit gehört auch: Es gibt Schlupflöcher, durch die gerade in Deutschland viele Unternehmen kommen.

Was das Thema Lieferketten angeht, zieht Europa nun nach. Es folgt die Corporate Sustainability Due Diligence Directive (CS3D). Wie bewerten Sie dieses Konstrukt?

Die CS3D wird momentan im Trialog von EU-Kommission, EU-Rat und EU-Parlament diskutiert. Sie tritt wahrscheinlich 2024 in Kraft, Unternehmen müssten sie dann ab 2027/2028 anwenden. Die CS3D ist enger und damit etwas schärfer formuliert als das LKSG. Sie wird die CSRD ergänzen, für die Unternehmen bereits 2025 eine Reporting-Pflicht haben. Diese gilt dann auch für kleinere Unternehmen.

Wie sind Unternehmen auf diese Verschärfungen vorbereitet?

Viele nicht ausreichend. Alleine, weil sie mit anderen Themen hantieren, sie sich kaum mit der neuen Regulatorik beschäftigen. Auch fehlt Fachpersonal.

Was könnten die Folgen sein, wenn man die Regulatorik nicht erfüllt?

Das beginnt bei Strafzahlungen im einstelligen Millionenbereich. Schlimmstenfalls müssen Unternehmen bestimmte Geschäftsfelder aufgeben. Man muss es so deutlich sagen: Wer die Regulatorik nicht erfüllt, riskiert Umsatz und vielleicht sogar sein Unternehmen.

Was ist die Schwierigkeit bei der Umsetzung der neuen Vorgaben?

Unternehmen müssen wie beim LKSG und CSRD zusammen mehr als 1.000 Datenpunkte sammeln, sie interpretieren und berichten. Besonders mit Blick auf die fehlende Expertise in Unternehmen ist das ein gravierendes Problem.

Wenn es um Datenpunkte geht, ist das Stichwort IT nicht weit weg: Auf welche technischen Lösungen kommt es bei der Regulatorik an?

Zur Bewältigung der Datenpunkte sind organisatorische und technische Prozesse aufzusetzen. Hierzu sind entsprechende Datenbanken zu implementieren. Entsprechende Reportingprozesse müssen auf diese Data Warehouses zugreifen und in Produktion gehen.

Was würden Sie im Themenbereich IT als besonders herausfordernd beschreiben?

Die Anforderungen seitens der EU-Aufsicht. Ein Stichwort ist ESRS, das für die CSRD / CS3D diverse Reporting Standards vorschreibt. Dafür braucht es Fachpersonal – sowohl im Kernthema als auch auf der technischen Ebene.

Wie können sich Unternehmen rasch rüsten?

Grundsätzlich sollten die Unternehmen sich die oben genannten fachlichen und IT-technischen Expertisen zukaufen. Ohne sie werden sie sich für die Aufgaben kaum erfolgreich rüsten können.

In den Unternehmen müssen Risikomanagement-Funktionen für die Nachhaltigkeitsthemen geschaffen werden. Für Non-Financial-Unternehmen ist dies häufig Neuland.

Können Sie an einem fiktiven Beispiel erklären, was die neue Regulatorik für Unternehmen im Alltag bedeutet? Was muss geprüft, was dokumentiert werden?

In den Unternehmen müssen Risikomanagement-Funktionen für die Nachhaltigkeitsthemen geschaffen werden. Für Non-Financial-Unternehmen ist dies häufig Neuland. Insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen müssen die interne Struktur neu justieren. Global Player sind ebenso gefordert. Das heißt: Alle müssen neue Prozesse einbauen, die die »Sauberkeit« von Lieferketten schützen. Ein Automobilhersteller muss beispielsweise gesondert prüfen und ausweisen, welche Komponenten von Unternehmen stammen, die als »riskant« gelten. Was viele Unternehmen unterschätzen: Sie selbst sind meist auch Zulieferer. Sie werden daher genauso von Geschäftspartnern überprüft und beobachtet.

Viele neigen zu negativen Einschätzungen von regulatorischen Maßnahmen. Was ist Ihre Haltung: Kann das CS3D Unternehmen auch Vorteile bringen?

Organisationen betrachten regulatorische Maßnahmen grundsätzlich als Bürde. Unternehmen in Europa können jedoch CS3D und die CSRD diesmal als Chance bewerten, da sich die EU ausnahmsweise in einer Vorreiterrolle befindet. Mittlerweile ist es so, dass selbst die Politik in den USA eine ähnliche Regulatorik diskutiert und wahrscheinlich umsetzt. Das betrifft besonders den Wirtschaftsmotor Kalifornien. Auch China bemüht sich trotz wirtschaftlicher Krise in Richtung Nachhaltigkeit. Das sind nur zwei Beispiele. Wir erwarten, dass diese Regulierungen weltweit zunehmen werden. Denn Umweltauswirkungen und soziale Fragen werden weiter international in den Fokus geraten. Unternehmen sollten sich also auf eine verstärkte Regulierung und steigende Anforderungen vorbereiten. Dementsprechend können europäische Unternehmen den auferlegten regulatorischen Vorsprung nutzen.

Die gute Nachricht: Einige hiesige Firmen steigen bereits ein, da sie sich mit CSRD und LKSG beschäftigen müssen. Das wahrscheinlich hinzukommende CS3D baut darauf auf, es gibt Schnittmengen. Wer heute seine Hausaufgaben macht, ist vorbereitet. Zumal das Streben zu mehr Nachhaltigkeit die eigene Wettbewerbsfähigkeit steigern wird. Auch neue Marktchancen werden entstehen. Dafür müssen die Beteiligten allerdings offen sein.

Deutschland ist bei diesem Thema grundsätzlich in einer guten Position. Das kann sich beim Stichwort Nachhaltigkeit nur als positiv erweisen.

Wir sprechen viel von Europa- und Nicht-Europa. Wie gut ist explizit die deutsche Wirtschaft auf das CS3D vorbereitet?

Eine pauschale Antwort ist schwierig. Aber dadurch, dass es das deutsche LSKG gibt, haben die darunter fallenden Unternehmen einen Vorsprung. Deutschland ist bei diesem Thema grundsätzlich in einer guten Position. Das kann sich beim Stichwort Nachhaltigkeit nur als positiv erweisen.

Was haben Unternehmen davon, wenn Sie auf saubere Lieferketten achten?

Meine Erfahrung nach mehr als 30 Jahren in der Beratung: Unternehmen, die compliant sind, die sich an Regeln halten, stehen fast immer für eine bessere Qualität bei den Produkten oder bei der Dienstleistung. Die Zusammenarbeit mit complianten Partnern sollte nicht als Bürde empfunden werden. Es ist eine wirtschaftlich robuste Basis. Man könnte auch sagen: Die Regulatorik zwingt Unternehmen zu einem stabilen Umfeld.

Wie können Unternehmen sicherstellen, dass sie die geforderte Compliance langfristig aufrechterhalten?

Langfristige Compliance erfordert, dass Firmen kontinuierlich Geschäftsprozesse überwachen und gegebenenfalls anpassen. Unternehmen sollten eine robuste Governance-Struktur etablieren. Mit dieser stellen sie sicher, dass sie permanent auf neue Anforderungen reagieren können.

Sie beraten seit Jahren erfolgreich Unternehmen. Wie setzen Sie sich mit einer neuen Regulatorik auseinander? Wie durchdringen Sie persönlich ein Thema?

Pragmatisch. Viele Unternehmen sind vom juristischen Kleinklein überfordert. Deshalb möchte ich die Anforderungen herunterbrechen und operationalisieren. Sie müssen sie etappenweise in Unternehmen integrieren. So, dass sie nicht sofort überfordert sind. Gleichzeitig will ich gemeinsam mit unserer ganzen Beratung nach dem Pareto-Prinzip arbeiten. 80 Prozent der Arbeit möglichst rasch erledigen, damit der größte Anteil der Zeit für die detaillierten Prozesse am Ende bleibt. Diese kosten immer viel Engagement.

Bei allem gilt: Ja, wir wollen Compliance erreichen. Das aber in einem kosten- und ertragsorientierten Umfeld.

Was ist der Mehrwert, den Sie als externer Berater liefern?

Wir als Beratungsteam sorgen dafür, dass sich Unternehmen auf das Tagesgeschäft konzentrieren können. Sie aber trotzdem die Anforderungen der Aufsichtsbehörden erfüllen. Unser Ziel ist, dass es keine Vor-Ort-Prüfungen gibt, dass keine Strafzahlungen fällig werden. Dass das Unternehmen in allen Geschäftsbereichen zukunftsfähig bleibt.

Zum Abschluss: Sind Sie in Projekten lieber Brandschutzexperte oder Feuerwehrmann?

Eindeutig ersteres. Klar, es gibt Fälle, da brennt es bereits. Dann helfen nur Zwischenlösungen. Ich glaube aber daran, dass wir präventiv viel Aufwand und Leid vermeiden können. Das gelingt mit sauberen Prozessen, einer detaillierten Dokumentation und einer rechtzeitigen Analyse der offenen Flanken.

Dr. Benny Gutmark berät seit mehr als 30 Jahren Unternehmen in komplexen regulatorischen Themen. Sein Anspruch? Dafür sorgen, dass die Kunden ruckelfrei durch den Alltag kommen. Der ESG-Experte lebt in Frankfurt.

Dr. Benny Gutmark
Dr. Benny Gutmark
ESG-Experte

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