Jannik Kroll
von Jannik Kroll
 
08.02.2023
 
8 Min.
KRONGAARD-content-hub-Susanne Brindöpke

Frau Brindöpke, das bankaufsichtliche Meldewesen – das klingt nicht unbedingt nach einem populären Thema. Würden Sie kurz erläutern, worum es dabei geht?

Banken – oder allgemeiner Finanzdienstleister – müssen in regelmäßigem Turnus Daten an Aufsichtsbehörden übermitteln. Beispielsweise an die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), die Bundesbank oder die Europäische Zentralbank (EZB). Das können einerseits statistische Daten zu Bilanzen, Zahlungsverkehr oder Informationen zu Einzelkrediten sein. Andererseits aber auch Formulare, sogenannte Templates, in denen einzelne Datenpunkte nach verschiedenen Merkmalen aggregiert dargestellt sind. 

Warum hat dieser Prozess für die deutsche Wirtschaft und Gesellschaft eine extrem hohe Bedeutung?

Das Meldewesen dient zur Überwachung des Finanzsystems. Anhand der gemeldeten Daten lassen sich systematische Risiken ermitteln, die potenziell negative Auswirkungen auf die Finanzsysteme und damit die wirtschaftliche Stabilität haben. Finanz- und Wirtschaftskrisen wirken sich direkt auf die Gesellschaft aus: Firmen gehen pleite, Menschen werden arbeitslos, Sozialsysteme müssen in Anspruch genommen werden. 

Es existieren mittlerweile sehr viele Templates von verschiedenen Aufsichtsbehörden in diversen Formaten. Wie konnte es zu dieser riesigen Datenmasse kommen? 

Im Zuge der Finanzkrise 2007 haben die Aufsichten gravierende Mängel festgestellt. Deswegen führten sie im Nachgang wesentlich mehr Meldeanforderungen und Templates ein. Jede Aufsichtsbehörde hat ihren eigenen Informationsbedarf, den sie erfüllen möchte.

"Es gibt kein einheitliches Datenmodell, geschweige denn einheitliche Datendefinitionen."

Inzwischen werden Banken zu mehr als 400.000 Datenpunkten abgefragt. Was sind das für Punkte und was macht sie zum Problem? 

Mit Datenpunkt ist eine spezifische Zahl in einem mehrdimensionalen Template gemeint. Diese Zahlen werden nach verschiedensten Dimensionen aufgestellt. Zum Beispiel nach Ländern oder Kundengruppen. Das Problem: Es gibt kein einheitliches Datenmodell, geschweige denn einheitliche Datendefinitionen. Die Informationen werden demnach nicht konsolidiert abgefragt, sondern je nach Bedarf der jeweiligen Aufsichtsbehörde.

Und nun herrscht Chaos.

Das würde ich nicht sagen. Aber die Vielzahl der Meldeanforderungen seitens der Behörden, die Informationen teils redundant abfragen, sind für Banken ein immenser Kostenfaktor. Und ein Ende ist durch den wachsenden Informationsbedarf nicht in Sicht.

Wie behalten die Banken – und sie als Expertin – den Überblick?

Auch ich habe keinen Gesamtüberblick über alle Meldeanforderungen. Was aber hilft: nah an den Aufsichtsbehörden sein. Zum Beispiel durch Teilnahme in Gremien, Abonnieren von Behörden-Newslettern oder das Engagement in Arbeitsgruppen. Neue Meldeanforderungen werden in der Regel weit vor Inkrafttreten publik und diskutiert. 

"Anfang 2023 wird zum Beispiel die Wohnimmobilienstatistik erhoben, mit der unter anderem Überbewertungen und Preisblasen erkannt werden sollen."

Durch aktuelle Entwicklungen steigt die Anzahl der Datenpunkte. Die EZB untersuchte beispielsweise mittels Stresstest, wie sich der Klimawandel auf Finanzunternehmen auswirken könnte. Mehr als 100 bedeutende Banken haben Daten übermittelt. Das Ergebnis zeigt: Klimarisiken werden unterschätzt und nicht ausreichend in interne Kreditrisikomodelle einbezogen. Zu welchen Geschehnissen werden Banken noch abgefragt? 

Grundsätzlich müssen Finanzdienstleister Meldungen quartalsweise, monatlich oder sogar täglich übermitteln. Hinzu kommen Ad-hoc-Anfragen oder die angesprochenen ergebnisbasierten Meldungen wie der Klimastresstest oder das Covid19-Reporting der europäischen Bankenaufsicht. Dabei überprüfte die Behörde, wie viele Kredite im Zuge der Pandemie gestundet werden mussten, weil Firmen oder Kund*innen die Darlehen nicht mehr bedienen konnten. Anfang 2023 wird zum Beispiel die Wohnimmobilienstatistik erhoben, mit der unter anderem Überbewertungen und Preisblasen erkannt werden sollen.

Der Analysebedarf steigt und erfordert neue Perspektiven. Die Rede ist von einem zentralen Datenmodell mit einheitlichem Regelwerk. Worauf müssen sich Banken und Aufsichtsbehörden einstellen? 

In ihrem Projekt “Standardising banks’ data reporting” möchte das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) zumindest alle statistischen Meldungen standardisieren, harmonisieren und integrieren. Dafür haben sie ein einheitliches Datenmodell und eine allgemeine Rahmenstruktur, ein Melde-Framework entwickelt. Die Banken müssen all ihre Daten in dieses Datenmodell transferieren, parallel jedoch weiterhin Meldungen nach alten Vorgaben abbilden. Für die Aufsichten gilt dieser Parallelbetrieb gleichermaßen. Sie müssen die Vorgaben untereinander erarbeiten, den Banken bereitstellen, Datenmengen aggregieren, Informationen zurückspielen. Ein riesiger Aufwand! 

Vereinfacht gesagt: Banken übermitteln ihre Daten künftig in einem einzigen Datenkonstrukt. Europäische und nationale Aufsichtsbehörden haben Zugriff darauf. Also müssen Banken ihre Daten nur einmal übermitteln. Welche Vorteile bringt dieses Modell für die Institute? 

Durch die genormten Meldeanforderungen vermeiden sie Redundanzen und Überschneidungen. Weitere Vorteile: Automatisierung der Datenbereitstellung und Minimierung der Kosten bei steigenden Meldeanforderungen. Jede Kennzahl wird nur einmal gemeldet. Banken, die in mehreren Ländern operieren, profitieren besonders: Es gibt keine Unterschiede zwischen den statistischen Datenanforderungen der einzelnen Staaten mehr. Wie Daten bereitzustellen sind, ist für alle Finanzdienstleister europaweit gleichermaßen festgelegt. 

Wie profitiert die Aufsicht noch von den merklichen Einsparungen? 

Dadurch, dass Banken ihre Daten auf ein einziges Datenmodell mappen, wird auch deren Verarbeitung vereinfacht und die Qualität verbessert. Auch erkennen die Aufsichtsbehörden Widersprüchlichkeiten zwischen den Instituten leichter. Daten lassen sich zudem über verschiedene Länder hinweg unkomplizierter aggregieren. Das spart Zeit. Aus den bereitgestellten Daten können weitere Auswertungen generiert werden.

"Im Moment existiert eine Masse an heterogenen Meldungen. Die müssen vereinheitlicht werden. Das geht keinesfalls von heute auf morgen, sondern muss sukzessive geschehen."

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin hat mittels Machbarkeitsstudie bereits ein mögliches System aufgezeigt, nach dem das “Meldewesen der Zukunft” komplett neu ausgerichtet werden müsste. Wie wahrscheinlich ist so eine radikale Reformation? 

Die BaFin geht mit ihrer Machbarkeitsstudie noch einen Schritt weiter als das ESZB. Sie möchte neben den statistischen auch die Template-basierten Meldungen in einem einheitlichen Framework standardisieren. Im Sinne aller Beteiligten ist das wohl die beste Lösung mit dem größten Mehrwert. Doch der Weg dahin ist komplex. Im Moment existiert eine Masse an heterogenen Meldungen. Die müssen vereinheitlicht werden. Das geht keinesfalls von heute auf morgen, sondern muss sukzessive geschehen. 

Sie agieren als eine der Reformator*innen. Wo setzt Ihre Arbeit genau an? 

Besonders wegen der Vielzahl an Anforderungen sollten sich Beraterinnen und Berater intensiv mit der Meldewesenlösung und der bestehenden Umsetzung bei Auftraggebenden entweder auskennen oder gleichfalls bereit sein, sich entsprechend einzuarbeiten. fDies können zum Beispiel neue Strukturen oder Feldanforderungen sein, die heute noch nicht wichtig sind – es aber in naher Zukunft sein werden. 

Wie genau können Expertinnen und Experten wie Sie den Banken helfen? 

Indem wir Lösungen im Meldewesen finden, die sich möglichst nahtlos in die bestehenden Umsetzungen einfügen. Neue Meldungen sollten im operativen Betrieb keine manuellen Tätigkeiten zur Folge haben. Die sind in der Regel sehr zeitintensiv.

Haben Sie ein reales Beispiel für so ein Problem?

Zum Beispiel hat eine Bank die Meldewesensoftware nur als Schreibmaschine benutzt. Das heißt, sie lieferte bereits die Endergebnisse an oder bearbeitete sie manuell in der Software. Das bezahlte Feature der Software – die automatisierte Erstellung der Datenmeldung – wurde nicht genutzt. Im Rahmen der Beratung konnten wir der Bank die Funktionalität erklären und den manuellen Prozess abstellen. 

Ihr Job fordert ein hohes Maß an Kommunikation. Welche Eigenschaften müssen Expertinnen und Experten noch mitbringen? 

Sie müssen die Meldewesenanforderungen kennen und die Ziele dahinter verstehen. Sie sollten sich stets mit den Neuerungen beschäftigen, wie den Initiativen der BaFin oder des ESZB. Sie sollten analytisch sowie strukturiert arbeiten und das große Ganze im Blick behalten. Auch Meldewesensoftwaresysteme sollten bekannt sein.

Banken benötigen bessere Datenqualitätsprüfungen, interne Prozesse müssen optimiert werden. Ein großer Aufwand, der besonders konventionelle Finanzinstitute abschrecken dürfte. Wie “überzeugen” Sie Kritikerinnen und Kritiker?

Grundsätzlich sind Banken oder deren Mitarbeitende sehr offen für Neuerungen. Aber die Lösung muss einen ersichtlichen Mehrwert haben. Sie muss schneller, darf aber in der Bedienung nicht komplizierter sein. Mit Beispielen auf Echtdaten können wir Kundinnen und Kunden die Abläufe und Vorteile zeigen und sie von Anfang an aktiv mitnehmen. 

Ein weiteres Problem, das wir noch nicht thematisiert haben: Eine zentrale Datensammelstelle könnte die Angriffsfläche für Cyberattacken erhöhen. Wie können sich Banken und Aufsichtsbehörden schützen? 

Die bisherige Verschlüsselung der Datentransportwege sollte um eine weitere der Dateninhalte ergänzt werden. Bestimmte Informationen werden kryptografisch verschlüsselt und nur Aufsichtsbehörden können diese öffnen. Dazu tauschen Institut und Behörde Verschlüsselungszertifikate oder -token aus.

Ein elementarer Unterschied zwischen dem “alten” und dem “neuen” Modell: Bisher werden aggregierte Zahlen übermittelt. Dadurch können Banken die Daten in den Templates ein Stück weit selbst beeinflussen. Was hinter den angehäuften Zahlen im Detail steckt, bleibt für die Aufsichtsbehörden im Verborgenen. Künftig sollen fast ausschließlich granulare Daten übermittelt werden. Werden Banken dadurch gläsern und ihre Schwächen zu* schonungslos offengelegt? 

Sie werden erst einmal nicht offengelegt. Die Aufsichten aggregieren diese Daten und werten sie dann nach verschiedenen Merkmalen gemäß ihres Informationsbedarfs aus. Sollte es Probleme geben, ist es unwahrscheinlich, dass diese veröffentlicht werden. Sie werden zuallererst mit den Banken selbst besprochen. Es wird die Möglichkeit geben, korrigierte Meldungen einzureichen. Fakt ist aber auch, dass dadurch ein viel umfangreicherer Vergleichsmaßstab möglich ist. Auf dieses neue Benchmarking können sich Banken erstmal nicht vorbereiten. 

Die Meldung von granularen Daten ruft sicher Skepsis hervor.

Sicherlich, weil nicht klar ist, was die Aufsichten mit den Daten machen. Insbesondere die Benchmark-Vergleiche zwischen den Instituten decken sehr häufig auf, wo es bei einzelnen Instituten Probleme gibt. Aber das sind am Ende ja Möglichkeiten zur Verbesserung der Datenqualität.

Frau Brindöpke, Ihre Prognose als Expertin: Schon jetzt beliefern Banken mehr als 400.000 Datenpunkte. Wie viele braucht es, damit Datenmasse endgültig Überhand gewinnt? 

Es ist klar, dass es so nicht weitergehen kann. Meldewesenabteilungen sind reine Kostentreiber. Sie erwirtschaften nichts und sind nur mit der Erfüllung unzähliger Vorgaben beschäftigt. Irgendwann geht es um die Profitabilität der Banken. Es sollte keine großen Templates-Einführungen mehr geben. 

Das Meldewesen muss neu gedacht werden. Die Dringlichkeit ist deutlich zu erkennen. Wie können Banken schon jetzt die besten Voraussetzungen dafür schaffen? 

An erster Stelle steht die Datenqualität. Manuelles Eingreifen in Templates ist nicht mehr möglich, die Ursprungsdaten müssen konsistent sein. Hier würde ich ansetzen und jetzt prüfen, wie manuelle Korrekturen vermieden werden können. Ein weiteres Thema ist die Vereinheitlichung aller Datenquellen, zum Beispiel durch einen zentralen Datenhaushalt. Viele verschiedene Datentöpfe, die die Meldungen speisen, sind kontraproduktiv und erschweren den Abgleich zwischen den Informationen.

Susanne Brindöpke ist Fachexpertin für nationale und internationale Rechnungslegung sowie aufsichtsrechtliche Meldungen. Sie ist als Prokuristin bei der finverse GmbH tätig, eine im europäischen Raum auf den Finanzsektor spezialisierte Unternehmensberatung. Im 2021 erschienenen Buch “The Digital Journey of Banking and Insurance, Volume I: Disruption and DNA” leistete Frau Brindöpke als Gastautorin einen Beitrag zum Thema versicherungsmathematische Datenwissenschaft.

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Susanne Brindöpke
Fachexpertin für nationale und internationale Rechnungslegung

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