Herr Wessel, Sie sind einer der wichtigsten europäischen Experten im Payment. Das Thema scheint einfach: Das Geld soll von A nach B. Warum wird es komplizierter gemacht, als es ist?
Bei der Frage gibt es zwei Perspektiven: Für die Leute, die in Shops etwas kaufen, ist Payment normalerweise nicht kompliziert. Kundinnen und Kunden wissen, wie man bezahlt. Online, aber auch vor Ort an der Kasse im Geschäft. Anders verhält es sich mit der Innensicht, also aus der Perspektive von Industrie und Handel: Welche Zahlungsarten habe ich oder sollte ich anbieten? Welche Risiken muss ich absichern? Außerdem gibt es sehr viele Abhängigkeiten zwischen den etablierten IT-Systemen. Da denke sogar ich als erfahrener Berater: Oh Gott, ist das kompliziert.
Was sind für Unternehmen die komplexesten Herausforderungen?
Bei Banken oder Payment Providern sind es die eigenen historisch gewachsenen Systeme. Nach vorne mögen sie glänzen, hintenrum rumpelt es aber gewaltig. Zum Beispiel, weil Unternehmen ihre Schnittstellen stets zusammengeschustert haben. Die Strukturen sind über Jahrzehnte wie ein Monolith gewachsen. Neue Ebenen wurden notdürftig auf die vorherigen draufgesetzt. Das genügte kurzfristig, sorgte aber langfristig für erhebliche Anfälligkeiten, weil der Ausfall eines Blocks alle anderen beeinflusst. Den Schneid, das Chaos mal anzugehen, es zu entwirren, hatten zu wenige Unternehmen. Abgesehen davon, dass dieses „Aufräumen“ einen gewaltigen Kostenfaktor darstellt. Die anderen Organisationen, die Mehrzahl, haben Chancen verschlafen. Besonders Banken und Payment Provider, die eine Weile am Markt sind, leiden unter ihren verkrusteten Strukturen.
Was wäre die bessere Alternative im Vergleich zum „Immerdraufbauen” gewesen?
Anstatt dass ein System mit Dutzenden Abhängigkeiten irgendwie funktioniert, hätten sie ihre IT nach und nach auf verschiedene cloud-basierte Anwendungen konzentrieren sollen. Diese sind unabhängig voneinander, harmonieren aber trotzdem.
“Payment Provider wie Stripe oder Klarna zeigen, wie es besser funktioniert.“
Das ist insgesamt eine sehr kritische Sichtweise. Welches Unternehmen hat es gut gemacht und zählt zu den positiven Ausnahmen?
Payment Provider wie Stripe oder Klarna zeigen, wie es besser funktioniert. Sie hatten aber auch einen entscheidenden Vorteil. Als sie ihre Companies starteten, waren viele technologische Innovationen frisch verfügbar. Sie konnten auf der grünen Wiese beginnen und mit modernsten Mitteln eine zukunftsfähige Architektur errichten. Anders als bei etablierten Firmen gab es nichts, an dem man festhalten musste oder wollte.
Was ist der Vorteil von einem System wie Stripe, das viele Unternehmen nutzen?
Es ist sehr integrationsfreudig, es passt also in verschiedenste IT-Strukturen. Die Collison-Brüder, die Gründer, sind Programmierer. Sie haben das Thema aus Entwicklersicht schlau aufgebaut. Dafür brauchten sie jedoch in anderen Bereichen Nachhilfe. Zum Beispiel, wie man das Produkt den Kundinnen und Kunden über neue Funktionen schmackhaft macht. Das ist ihnen gut gelungen, wie der Erfolg beweist.
Nicht alle Probleme im digitalen Payment sind hausgemacht. Welche externen Faktoren erschweren das Business?
Die Regulatorik ist ein Aspekt, der zusätzlich zu den strukturellen und hausgemachten Problemen Unternehmen belastet. Immer, wenn es um Geld geht, wird genau hingeschaut. Wo kommt es her? Wo soll es hin? Ist es sauber? Anti Money Laundering, die Geldwäscheprävention, ist ein wichtiges und riesiges Thema. Gleiches gilt für „Fraud“ und „Fraudprävention“. Vereinfacht auf Deutsch: „Wie lasse ich mich nicht bestehlen?“ Diese Anforderungen sorgen dafür, dass die Systeme im Hintergrund der vermeintlich einfachen Bezahllösungen viel leisten müssen.
Welche Unternehmen müssen sich mit der Geldwäscheprävention beschäftigen?
Grundsätzlich sollten Geschäftstreibende alle Käufe ab einer gewissen Summe kontrollieren. Nicht nur Banken, sondern jedes Unternehmen, das Geschäfte abwickelt, muss sich potenziell mit Geldwäsche beschäftigen.
Kommen wir zu einem banaleren Thema: Zahlungsarten. Warum ist das richtige Set-up für Unternehmen entscheidend?
Kein Händler wird allein durch den Zahlungsmix neue Kundinnen und Kunden gewinnen. Aber wenn der Rahmen nicht passt, die Menschen ihren favorisierten Bezahlweg nicht nutzen können, werden sie abspringen. Unternehmen verlieren Umsatz – und das nicht zu knapp.
Wie zahlen die Deutschen in Onlineshops am liebsten?
Via PayPal.
Tatsächlich noch vor Rechnungskauf und Lastschrift?
Da halte ich es wie Winston Churchill. „Vertraue keiner Statistik, die du nicht selbst gefälscht hast.“
Rechnungskauf und Lastschrift sind bei älteren Kundinnen und Kunden noch sehr beliebt. Bei den Jüngeren dominiert eindeutig PayPal.
Wie unterschiedlich bewerten verschiedene Altersgruppen die Bezahlmethoden?
Es gibt bemerkenswerte Abweichungen. Rechnungskauf und Lastschrift sind bei älteren Kundinnen und Kunden noch sehr beliebt. Bei den Jüngeren dominiert eindeutig PayPal. Bei der Generation Z lässt sich eine Tendenz zu Klarna und anderen alternativen Zahlarten erkennen.
Rechnungskauf ist für Unternehmen mit erheblichen Risiken verbunden. Das Geld kommt spät, manchmal gar nicht.
Für diese Lücke haben sich hierzulande Dienstleister gefunden. Das sind Firmen, die das wirtschaftliche Risiko der Händler voll übernehmen. Sie zahlen den Shopbetreiber bereits am Folgetag aus und riskieren – gegen die entsprechende Marge – dass sie in die Mahn- oder Inkassoschleifen müssen. In Deutschland ist eine mannigfaltige Industrie in dem Bereich entstanden, die international einmalig ist.
Was sogar Laien auffällt: Der Mix der Zahlungsanbieter, den Shops anbieten, ist sehr unterschiedlich. Auf manchen Plattformen gibt es drei Optionen, auf anderen 15. Wie empfehlen Sie als Berater ein gutes Set-up?
Ich schaue aus verschiedenen Blickwinkeln auf die Situation, leite daraus individuelle Anforderungen und Kriterien ab. Es gibt nicht den einen perfekten Zahlungsmix.
Was sind die wesentlichen Kriterien?
Sicher die Internationalität. Wer beispielsweise in Frankreich aktiv ist, kommt nicht an „Carte Bleue“ vorbei. Das ist der lokale Debit Scheme (vergleichbar mit unserer Girocard), die dominierende Zahlart. 50 Prozent der Online-Käufe wickeln französische Kundinnen und Kunden darüber ab.
Weitere Kriterien:
- Ist das Unternehmen kanalübergreifend aktiv? Was ich meine: Bespielt es neben dem E-Commerce auch den stationären Handel und welche App Strategie verfolgt es?
- Die Zahlungssicherheit ist im Sinne der Ausfallsicherheit relevant. Wie hoch ist die Garantie, dass das Geld tatsächlich und schnell ankommt? Das hängt stark vom Endkundenklientel ab.
- Die Auszahlungsgeschwindigkeit. Also wie sehr ist das Business des Unternehmens von schnellen Geldflüssen abhängig?
Und nicht zu vergessen: die Zahlungsrobustheit. Hält das System Peaks wie dem Black Friday stand, an dem der Ansturm auf die Server extrem ist? Ein Ausfall an diesem Tag kann existenzbedrohend sein.
»Alternative Payment Methods« sind neue Varianten, die spannend anmuten. Sie haben aber das Problem, dass noch nicht alles sattelfest ist. Es fehlt die jahrelange Erfahrung.
Kann man die einzelnen Zahlungsanbieter nach Stärken clustern? Also gibt es die günstigen, die standhaften, die hippen Alternativen?
Herkömmliche Zahlungsarten wie Visa, Mastercard oder American Express performen wahnsinnig gut. Die wissen, wie Compliance geht und sie sind gut gegen Fraud gerüstet. Diese Basis wurde über Jahrzehnte mühsam aufgebaut. Daraus ergibt sich ein Problem: Die genannten rechtssicheren Dienste sind extrem teuer.
Dann gibt es in Europa die Lastschrift, die über das SEPA-System läuft. Sehr einfach und günstig im Handling. Die Downside, der Nachteil: Kundinnen und Kunden können die Abbuchung nach vier bis acht Wochen zurückrufen. Das macht die Zahlart in gewissen Konstellationen sehr unattraktiv.
»Alternative Payment Methods« sind neue Varianten, die spannend anmuten. Sie haben aber das Problem, dass noch nicht alles sattelfest ist. Es fehlt die jahrelange Erfahrung. Dafür priorisieren sie immer den Kunden und die Einfachheit der Lösung.
Wer einerseits sehr erfahren, zugleich aber noch jung wirkt: PayPal. Wie bewerten Sie diesen omnipräsenten Anbieter?
PayPal hat einen großen Trust Record aufgebaut. Das System gilt als sehr verlässlich. Der jüngste Fall in Argentinien zeigt, dass auch ein Global Player, ein Beinahe-Monopolist, noch nicht alles kontrolliert.
Was ist passiert?
Die Regierung Argentiniens will, dass das Land trotz Mega-Inflation ein attraktives Ziel für Reisen bleibt. Bei Kartenzahlungen via VISA wird ein deutlich vergünstigter Wechselkurs (40% günstiger gegenüber dem regulären Peso-Kurs) angeboten. Das Problem: Endkundinnen und Endkunden, die nicht mal in Argentinien waren, konnten mit ihrer VISA-Karte diese Lücke nutzen. Sie stellten auf PayPal ihre Währung auf Pesos um und kauften vorübergehend weltweit online 40% günstiger ein.
“Andererseits wollen die meisten Menschen mit PayPal bezahlen. Die Shopbetreiber können eigentlich nicht mehr auf diesen Dienst verzichten.“
Abseits dieses Betriebsunfalls: Warum hadern viele Unternehmen mit PayPal?
PayPal verlangt verhältnismäßig hohe Gebühren. Für Unternehmen ergibt sich daraus eine Zwickmühle. Einerseits sind ihre Produkte vor allem im Onlinehandel durch Vergleichsportale sehr exponiert, was die Preise angeht. Dadurch sinkt der Handlungsspielraum beim Pricing. Andererseits wollen die meisten Menschen mit PayPal bezahlen. Die Shopbetreiber können eigentlich nicht mehr auf diesen Dienst verzichten.
Wie teuer ist PayPal?
Das hängt immer vom Volumen der Transaktionen ab. Wer viel verkauft, zahlt weniger. Händler müssen mit einer Festgebühr und bis zu 2,99 Prozent der Kaufsumme rechnen.
Man könnte andere Zahlungsanbieter rabattieren, also sagen: Wer per Lastschrift berappt, bekommt Rabatt. Dieser kann unter der PayPal-Marge liegen.
Das verhindert PayPal durch seine AGB. Wer PayPal diskriminiert, fliegt raus, der darf den Service nicht mehr nutzen. Wegen dieses Gebarens läuft momentan eine Kartellklage gegen das Unternehmen.
Bei aller Kritik: Was hat PayPal gut gemacht?
Die Gründer haben im richtigen Moment ein sogenanntes One-Trick-Pony gebaut, ein Spezialtool für einen Service: Online Zahlungen bequem abwickeln. Und das gerade zu der Zeit, als sich der digitale Konsum durchsetzte. Durch das „Erster sein“ entstand eine robuste Relevanz bei den Konsumentinnen und Konsumenten. Später wurde diese durch neue Funktionen wie dem privaten Echtzeit-Geldtransfer ausgebaut. PayPal kann man sich wie ein Perpetuum mobile vorstellen, das von beiden Seiten angestoßen wird. Dadurch, dass sich die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer fast von selbst verbreitet, steigt automatisch der Druck auf die Händler.
Kommen wir zu realitätsnahen Themen, die Sie in Ihrer Funktion als Berater herausfordern: Wie sieht zurzeit ein typisches Projekt aus?
Momentan berate ich Firmen besonders bei einer Frage: Reicht die Überarbeitung des Set-ups an Bezahlmethoden aus – oder sollten sie gleich eigene Payment-Kanäle aufbauen.
Was reizt Unternehmen an dieser Perspektive?
Es ist wirtschaftliches Kalkül. Die Unternehmen fragen sich, warum sie Transaktionsgebühren an Dritte abführen sollen, wenn auch sie dieses Geld abschöpfen könnten. Mehr noch: Wenn sie das Thema selbst besetzen, sinkt die Abhängigkeit von externen Dienstleistern. Und nebenbei gewinnen sie das Gold der heutigen Zeit: Daten. Auf der hohen Managementebene ist das Thema momentan dominant. Um nicht zu sagen: Es wird als zukunftsweisend angesehen.
Was ist der beste Weg in diesem Zusammenhang in die Zukunft?
Das hängt vor allem an einer Frage: Ist das Transaktionsvolumen der Firmen groß genug? Nur bei entsprechendem Durchlauf können sich die Investitionskosten in einen eigenen Kanal rasch amortisieren. Erst dann steigt auch der Wert der Organisation.
Für welche Unternehmen sehen Sie besondere Potenziale?
Der B2B-Bereich ist privilegiert. Besonders, wenn es um Plattformen geht, an denen Verkaufende und Kaufende partizipieren. Ein Beispiel ist ein Unternehmen aus der süddeutschen Autobranche. Es hat einen digitalen Handelsplatz geschaffen, auf dem Reifenproduzenten beispielsweise mit Kfz-Werkstätten handeln. Mein Kunde, das besagte Unternehmen, übernimmt in diesem Kontext fast alles: die kompletten Vermittlungs- und Bestellprozesse über seinen Marktplatz. Nur die Zahlung übernimmt er nicht. Dadurch geht einiges an Wertschöpfung verloren. Auch die gewohnte Customer Experience aus dem B2C-Umfeld – das Einkaufen und Zahlen auf derselben Plattform – wird unterbrochen.
Was hält Unternehmen von dieser schlauen Maßnahme ab?
Es ist ein großer Wurf in die Zukunft, der Geld kostet. Auch schrecken die regulatorischen Hürden der Bafin einige Firmen ab.
Deutschland steht im internationalen Vergleich der Fintechs nicht gerade super da. Welche Schuld trägt die Bafin?
Klar, seit Wirecard ist der Blick deutlich strenger, vielleicht sogar zu streng. Aber es liegt nicht nur an der Bafin.
Woran noch?
In den vergangenen Jahren waren wir in Deutschland bei einigen Themen weit vorne. Um nicht zu sagen: Vorreiter. Ich denke an Open Banking. Durch sogenannte „offene“ Schnittstellen mussten Banken innovativen Fintechs entgegenkommen. Wenn Endkundinnen und Endkunden es vorab autorisierten, mussten die Finanzinstitute die Kontoinformationen an die Fintechs herausgeben. So wird beispielsweise die Liquidität für die Kreditvergabe oder Buy-now-Pay-later-Modelle in Echtzeit überprüft. Leider wurde das Thema nur deutschlandweit ausgerollt. Der Sprung auf die europäische Bühne misslang oder wurde gar nicht erst versucht, weil hiesige Geldgeber zurückhaltend waren.
“Wir denken innovative Ideen selten weit genug. Andere Länder sind diesbezüglich weiter.“
Ist das ein grundsätzliches Problem?
Wir denken innovative Ideen selten weit genug. Andere Länder sind diesbezüglich weiter. Dänische oder französische Firmen übernahmen zum Beispiel kürzlich lukrative deutsche Start-ups. Wo die Regulatorik momentan sehr genau hinschaut, ist das sogenannte »Embedded Banking«. Das sind Geschäfte, bei denen Unternehmen mithilfe von BaaS (Banking as a Service) in Bankgeschäfte einsteigen. Also Kreditgeschäfte selbstständig abwickeln oder eigene Girokonten auf Basis von BaaS anbieten. Die Berliner Solaris Bank, die in vielen dieser Bereiche Pionier ist, steht momentan unter massivem Bafin-Druck.
Welche Innovation sollten Unternehmen als besonders spannend erachten?
SEPA request to pay wirkt sehr lukrativ. Die Händler können die Rechnung direkt ins Online Banking der Kundinnen und Kunden pushen. Das Übertragen der Überweisungsdaten von der Rechnung auf die Banking-Plattform könnte damit entfallen. Auch würden wieder mehr Aktivitäten innerhalb des Bankkontos stattfinden. Zum Beispiel könnten Nutzerinnen und Nutzer dort ihre Belege archivieren. Das macht den Service für Banken spannend. Sie wären, was ich begrüßen würde, wieder näher an Kundinnen, Kunden und Kerngeschäft. Das Problem: Wir reden von den ersten Gehversuchen. Die Sache ist lange noch nicht ausgegoren. Die Bereitschaft auf Bankenseite ist teilweise dürftig.
Welche Entwicklung macht Ihnen Angst?
Mal was ganz anderes: Ein TikTok-Trend, bei dem Jugendliche angeben, wie viel Schulden sie über Buy-now-Pay-Later-Modelle angehäuft haben. Das lässt kaum auf finanzielles Know-how schließen: Im Gegenteil, die Verschuldung in jungen Jahren ist gefährlich. In diesem Bereich sollte die Regulatorik scharf reagieren.
Zum Abschluss: Wer nach diesem Interview über die eigene Payment-Strategie grübelt, wird sich fragen, woran Schwächen sofort erkennbar sind. Gibt es einen einfachen Trick?
Gemünzt auf den Online-Bereich? Zahlen lügen nicht. Anhand der Conversion Rate in der Payment-Phase des Checkouts können Unternehmen potenzielle Probleme am ehesten erkennen.