Die Macherinnen und Macher hinter der Marke „Rügenwalder Mühle“ hatten Mut. Der Wursthersteller verstand als eines der ersten Unternehmen aus der Branche das Potenzial von veganen und vegetarischen Wurstalternativen. Was uns heute selbstverständlich erscheint, war damals, 2014, ein sehr ungewöhnlicher Schritt. Er hätte auch schiefgehen können.
Rügenwalder Marketingchef Godo Röben, der den Wandel auch aus persönlicher Überzeugung vorantrieb, hatte aber mit seinem Vorhaben Erfolg. Heute ist das Unternehmen in einem zusehends beliebter werdenden Marktsegment in der Spitze etabliert. Und es ist ein sehr stark wachsender Markt.
Doch was sind die Gründe für den Erfolg? Rügenwalder erkannte und begriff die Tragweite eines Trends früher als die Konkurrenz. Das Erkennen dieser Entwicklungstendenz im Konsumverhalten gerader junger Menschen war aber nicht der einzige entscheidende Schritt zum Erfolg der neuen Produktlinie. Noch wichtiger war die Haltung hinter den Plänen der Verantwortlichen.
Die richtige Einsicht, echte Überzeugung
Die Marke war bekannt für Schinkenspicker und Teewurst. Damit verdiente die Firma ihr Geld. Die Führungsverantwortlichen verstanden jedoch, dass es nicht auf ewig so weitergehen könne mit dem absurd hohen Fleischkonsum in unserer Gesellschaft. Gleichzeitig beobachteten die Entscheider bei Rügenwalder, dass nicht nur die Anzahl von vegetarisch oder vegan lebenden Menschen stieg, sondern breite Schichten der Bevölkerung ihren Fleischkonsum reduzieren wollten – die sogenannten „Flexitarier” wurden als Zielgruppe ausgemacht. Für sie entwickelte Rügenwalder Produkte, die den gewohnten Geschmack auf vegetarischer Basis boten.
Dass ein Wurstproduzent genau diese Einsicht sehr früh gewinnt und daraus echte Handlungen ableitete, ist überraschend und wichtig. Genauso entscheidend: Rügenwalder zeigte nicht nur Haltung, sondern brachte das gesamten Unternehmen zum Mitziehen. Die Belegschaft – darunter viele Metzgermeister – unterstützte den eingeschlagenen Weg.
Mit vollem Fokus und Risikobereitschaft
Die Firma besaß nicht nur den Mut, diesen Markt zu erschließen, sondern investierte zusätzlich in das Vorhaben. Ein Großteil des Marketingbudgets floss fortan nicht mehr in die bisherigen Verkaufsschlager, sondern in die neuen Produkte. Rügenwalder machte es nicht nebenbei. Rügenwalder machte es mit vollem Fokus und aller Risikobereitschaft. Das geht nur, wenn Entscheider Haltung zeigen und ihr Handeln konsequent danach ausrichten. Dass das nicht einfach ist, habe ich selbst oft genug erlebt.
Produktqualität ist die Grundvoraussetzung
Seit 30 Jahren bin ich im Marketing im Lebensmittel- und Getränke-Bereich tätig. Ich durfte als Marketingverantwortlicher große Marken wie Iglo, Nescafé oder Brita gestalten und weiterentwickeln. Schon früh wurde mir dabei klar: Es geht bei gutem und nachhaltig erfolgreichem Marketing vor allem um die richtige Haltung gegenüber den Produkten und den Konsumenten.
Meine Zeit bei Nestlé ist dafür ein gutes Beispiel. Das Unternehmen steckt viel Kritik ein. Es gibt berechtigte Punkte, die man der Firma vorwerfen kann. Viele andere sind dagegen mehr Mythos als Wahrheit. Wofür ich mich aber immer noch verbürgen würde: Die Produkte von Nestlé sind oft von einer außerordentlich hohen Qualität.
Das liegt auch an der klaren Haltung des Unternehmens zur Produktqualität als Grundvoraussetzung für Markterfolg. Denn es gilt für jedes Produkt: Es muss deutlich besser sein als die Konkurrenz. Doch ist der Lebensmittelmarkt sehr wettbewerbsintensiv, sodass es zu jedem populären Erzeugnis immer auch kompetente Gegenspieler gibt. Bei Nestlé bedeutet es, besser zu sein, wenn in einer Testgruppe 60 Prozent der Teilnehmer die eigenen Produkte vorne sehen. Wenn es diese Überlegenheit nicht gibt, werden diese Produkte nicht beworben, sondern erst einmal weiterentwickelt, bis sie den Verbraucherbedürfnissen besser entsprechen als die Wettbewerbsprodukte. Nescafé war so ein Beispiel, bei dem die Verantwortlichen extrem lange und fokussiert am Qualitätsvorsprung arbeiteten und am Ende vom eigenen Mindset profitieren sollten – in Form von Wachstum und Marktanteilsgewinnen.
Eigene Stärken fokussieren
Ein gutes Produkt ist die Grundvoraussetzung für gutes Marketing. Im Food-Bereich ist das aber hochkomplex. Geschmäcker sind extrem unterschiedlich. Viele kennen die legendäre Einteilung von Schokoladen-Fans in die Beißer und die Lutscher. Die einen mögen lieber Ritter Sport, die anderen bevorzugen Milka – vereinfacht gesagt.
Bei der Entwicklung eines Kakao-Produkts hatten wir vergleichbare Schwierigkeiten. Auch hier zeigte sich in Tests, dass es zwei klare Gruppen mit unterschiedlichen Präferenzen gab – die einen mochten es lieber süßer, die anderen „kakaoiger“. Nun wäre es ein Fehler gewesen, die Rezeptur stärker in Richtung des Durchschnittsgeschmacks in die Mitte des Spektrums zu verändern. Denn dann schmeckt es allen ein bisschen, aber niemandem richtig gut. Auch das ist fatal. Die bessere Wahl ist es, die Sortenvielfalt zu erhöhen, um möglichst viele Geschmäcker zu bedienen. Oder man fokussiert weiter die eigenen Stärke in einem Segment. So sollte Jever („friesisch herb”) sicher kein mildes Bier herausbringen.
Vertrauen gewinnen
Die Vermarktung fällt immer leichter, wenn ein Produkt richtig gut ist. Menschen etwas vorzumachen, dass etwas ganz toll ist, was dann aber die Versprechen nicht hält – das ist meist nicht ausdauernd erfolgreich. Die Investition in Werbung kann ihre Wirkung nicht voll entfalten. Viele Unternehmen beherzigen diesen Grundsatz mittlerweile. Diese Entwicklung birgt jedoch das nächste Problem: Wie können wir Abgrenzung erreichen, wenn die qualitativen Unterschiede zwischen den Produkten marginaler werden?
Es geht vor allem um Vertrauen. Konsumenten müssen eine Marke erkennen und sofort wissen, dass sie die Produkte unbesorgt kaufen können. Das gilt bei Lebensmitteln mindestens so stark wie in anderen Branchen. Verbraucher müssen sich auf eine Brand verlassen können: Es ist das drin, was draufsteht. Der Geschmack stimmt, es ist gesund, bestenfalls sind die Zutaten natürlich, die Produktverpackung umweltfreundlich, die Produktion nachhaltig. Diese drei großen Trends – Gesundheit, Natürlichkeit, Nachhaltigkeit (inklusive Umweltfreundlichkeit) werden weiter an Bedeutung gewinnen. Aus Differenzierungsmerkmalen werden Selbstverständlichkeiten. Wer sich und seine Produkte nicht auf diese sich wandelnden Konsumentenbedürfnisse einstellt, wird bald abgehängt und chancenlos sein.
Der mühsame Weg bis zur Kommunikation
Die Krux: Was der Kunde zu wollen meint, ist nicht immer das, was er auch kauft. Bei Iglo habe ich das vor vielen Jahren selbst erlebt. Wir haben früh einen Versuch gestartet, die Aluminiumschalen beim Schlemmerfilet abzuschaffen. Das war umweltfreundlich, wie es die Konsumenten auch forderten. Aber das Produkt wurde weniger gekauft, weil die Aluschale so praktisch und gewohnt war – also kam sie schnell zurück. Ähnliches erleben Lebensmittelhersteller, die auf besser klingende Rezepturen (natürlich, bio) setzen und dann feststellen, dass der Kunde das zwar unbedingt möchte, das Produkt aber keinesfalls anders schmecken darf als das Lieb gewonnene. Es ist immer wichtig, die Menschen tief und vollständig zu verstehen. Doch das ist ganz schön mühsam.
Erst nach all dieser Arbeit an der eigenen Haltung und Positionierung, dem tiefen Verstehen der Zielgruppe und der innovativen Produktentwicklung, sollten wir uns mit dem beschäftigen, auf das die meisten das Marketing reduzieren: kreative Werbung und intelligente Kommunikation. So, wie die Rügenwalder es vorgemacht haben. Denn: Demjenigen, der Haltung zeigt, wird vertraut.