Herr Dr. Partsch, befindet sich die Globalisierung in einer Krise und wenn ja: wie ausgeprägt ist diese?
Die Probleme existieren schon lange. Denn eine echte Globalisierung, wie manche sie sich ausmalen, hat es nie gegeben. Sie war eine unrealistische Vision für eine schöne, stabile Welt. Als Krisenherd wurde sie jedoch erst durch die Pandemie von der Allgemeinheit wahrgenommen.
Könnte das Zeitalter der Globalisierung schon in wenigen Jahren vorbei sein?
Dazu muss man definieren, was Globalisierung wirklich heißt und welche Voraussetzungen dafür erforderlich sind. Betrachten wir sie als schöne, neue, global vernetzte Welt, baut diese auf stabile internationale Beziehungen. Das heißt: Keine Konflikte und Kriege, dazu politische Kontinuität. Diese Globalisierung gibt es nur in ganz wenigen Bereichen. Die internationale Warenwirtschaft, also Export und Import, werden dagegen bleiben.
An der Spitze der Unternehmen, speziell in Deutschland, sitzen zumeist »Schönwetter-Kapitäne«. Die sind mit den nötigen substanziellen Veränderungen überfordert.
Vor einem Jahr war die Lage in vielen Lieferketten angespannt, es gab teils gravierende Engpässe. Wie hat sich die Lage seitdem entwickelt?
Sie hat sich nicht wesentlich verbessert. Gravierende Veränderungen benötigen Zeit und spezifisches Fachpersonal. Doch das ist hierzulande nur sehr rudimentär vorhanden. Auch andere Probleme hemmen eine positive Entwicklung der Situation. An der Spitze der Unternehmen, speziell in Deutschland, sitzen zumeist »Schönwetter-Kapitäne«. Die sind mit den nötigen substanziellen Veränderungen überfordert. Außerdem ist das ausgeprägte deutsche »Bedenkenträgertum« eines der größten Hindernisse für notwendige Transformationen. Schlimmstenfalls fehlt neben dem Mut dann auch noch das Geld für diese Anpassungen.
Momentan klagen viele deutsche Unternehmen über die Politik. Die Energiepreise, die Bürokratie. Aber welche Probleme sind in der Industrie immer noch hausgemacht - gerade bezüglich der Lieferketten?
Zu oft wird nur an den kleinen oder unwichtigen Schrauben gedreht. So gerät das Gesamtgebilde »Unternehmen und Markt« aus dem Fokus. Das heißt für unser Thema: Ohne eine klare Unternehmens- und Supply-Chain-Strategie gibt es keine erfolgreichen Anpassungen an die neue und unsichere Welt. Und von der Regierung, so wie sie derzeit agiert, kann man nicht viel erwarten. Hier wird zu viel Falsches oder zu wenig gemacht. In der Hoffnung, dass es schon wieder besser wird. In der Politik herrscht der größte Fachkräftemangel!
In Sachen Wirtschaftswachstum dümpelt Deutschland momentan eher in den niederen Gefilden. Was haben die porösen Lieferketten damit zu tun?
Das ist nicht leicht zu beantworten. Es gibt ein ganzes Bündel an Problemen, die das Wachstum der deutschen Wirtschaft behindern. Und das ist nicht nur die unfassbare Bürokratie mit Hürden wie ESG oder LkSG. Es mangelt auch in allen Unternehmensbereichen an Flexibilität und Reaktionsfähigkeit. Wenig durchdachte Strategien wie das Offshoring von Produktionen nach China und in andere Länder verschaffen nur kurz Luft. Doch wenig später ergeben sich genau daraus die neuen Probleme.
Die da wären?
Wenn man den Großteil der Wertschöpfung herschenkt und ins entfernte Ausland vergibt, muss man die Produkte über lange Transportwege wieder nach Deutschland einführen. Es überrascht nicht, dass geschlossene und mangelhaft kontrollierte Lieferketten zu massiven Problemen führen. Der Markt sucht sich dann einfachere und zuverlässige Wege, seine Bedürfnisse zu befriedigen. Und diese Lösungen kommen leider immer seltener aus Deutschland. Besonders tragisch: Gesunde Firmen resignieren und wandern ab.
Geld, also das Einkommen und Vermögen, ergibt sich aus der geleisteten Arbeit. Doch diese haben wir weitgehend in weit entfernte Länder verlagert, die damit ihren Wohlstand aufbauen.
Existiert auch ein Mindset-Problem im Land? Und zwar nicht nur in Wirtschaft und Politik, sondern grundsätzlich in der Gesellschaft?
Wir sind vom fleißigen Wirtschaftswunderland sukzessive in das Tal der satten oder bequemen Konsumentinnen und Konsumenten gerutscht. Dabei gilt beim wirtschaftlichen Wachstum immer noch eine einfache Formel: Geld, also das Einkommen und Vermögen, ergibt sich aus der geleisteten Arbeit. Doch diese haben wir weitgehend in weit entfernte Länder verlagert, die damit ihren Wohlstand aufbauen.
Ist das eine Meinung – oder eine Einschätzung, die auf Zahlen beruht?
Aus einer im November 2023 veröffentlichten Studie geht knallhart hervor, dass unter allen OECD-Ländern das fleißigste Volk mit dem niedrigsten durchschnittlichen Einkommen Mexiko ist. Am Ende der Skala steht Deutschland. Hier wird am wenigsten unter den bestverdienenden Nationen gearbeitet.
Manche sagen, die deutsche Krise speist sich aus der angeschlagenen chinesischen Wirtschaft. Wie bewerten Sie dieses Urteil - und die Abhängigkeit der Deutschen zu China?
Niemand sollte sich heute beschweren, dass diese Nation so mächtig geworden ist. Auch WIR haben das Land durch unnötiges Offshoring und Outsourcing groß gemacht. Das betrifft nicht nur Europa, sondern vor allem die USA. Dadurch sind wir in Deutschland in eine unsagbare und ungesunde Abhängigkeit zu China geraten.
Bereits in unserem letzten Interview haben sie explizit vor diesem Risiko gewarnt. Ist seitdem etwas passiert?
Es ist schlimmer geworden. Die Flut von E-Autos aus China nach Europa (und USA) ist ein Indiz. Genau wie die Absatzprobleme unserer Automobilproduzenten in Asien.
Abgesehen davon: Wo sehen Sie in diesem Jahr die Kernherausforderungen für Unternehmen, die internationale oder gar globale Lieferketten managen müssen?
Endlich den Mut zu haben, das Richtige und Wichtige zu tun. Momentan sitzen viele wie paralysiert da und hoffen auf bessere Zeiten. Doch die werden sich ohne Handlungen nicht einstellen.
Eine wichtige Grundregel lautet aber, dass wir die eigene Wertschöpfung wieder vor Ort oder in der Nähe steigern müssen. Und zwar mit allen modernen technologischen Hilfsmitteln wie Robotik oder künstlicher Intelligenz.
Was wäre so eine Reaktion, so ein Handeln?
Es gibt dafür kein allgemein wirksames Patentrezept. Eine wichtige Grundregel lautet aber, dass wir die eigene Wertschöpfung wieder vor Ort oder in der Nähe steigern müssen. Und zwar mit allen modernen technologischen Hilfsmitteln wie Robotik oder künstlicher Intelligenz. Stichworte, die wir bald häufiger hören sollten, sind Re- oder Nearshoring. Fachexpertinnen und -experten aus dem Supply Chain Management müssen diese entwickeln und mithilfe des Top-Managements einführen.
Was wären die Folgen für Deutschland, wenn es zu einer De-Globalisierung kommen würde?
Wenn es richtig und strategisch angegangen wird, dann kann es ein Segen für die deutsche Wirtschaft sein!
Gibt es schon Unternehmen, die im deutschsprachigen Raum bereits Pionierarbeit für diesen »Segen« leisten?
Ja, natürlich, die gibt es. Aber es sind viel zu wenige! Ein leuchtendes Beispiel aus meiner Praxis darf ich an dieser Stelle erwähnen, da es hinlänglich öffentlich bekannt ist: Red Bull. Diesem Unternehmen konnte ich vor vielen Jahren bei der Optimierung seiner Supply Chain helfen. Wir haben dadurch die Wertschöpfungsquellen vom Einkauf bis zum Versand in Österreich behalten. Der Erfolg dieser Konzeption ist spätestens heute legendär.
Welche Rollen sollten sich Unternehmen – über Expertinnen und Experten – schleunigst aneignen, damit sie die Herausforderungen von morgen lösen?
Es gibt eine klare Antwort: das Supply Chain Management. Deutsche Unternehmen müssen die Steuerung der Lieferketten von Anfang (Rohmaterialien) bis zum Ende (Endverbraucher und Endverbraucherinnen) durch die zwar wenigen, aber guten und erfahrenen Fachkräfte am Markt neu gestalten lassen. Diese Spezialistinnen und Spezialisten sollten auch auf oberster Geschäftsebene die Prozesse steuern und überwachen.
Welchen Gedanken ich sehr spannend finde: Dass die »neue« Globalisierung gar nicht unbedingt viel weniger Globalisierung bedeutet, sondern dass Deutschland alternative Handelspartner suchen muss. Wie könnte die Suche aussehen?
Der Begriff »Globalisierung«, ob neu oder alt, ist sehr generisch und basiert auf der Voraussetzung, dass alles bleibt wie gehabt. Das ist aber ein Wunschglaube, der nicht mehr realistisch ist. Aber ja: Wir brauchen andere »Tanzpartner« in den oft sehr langen Lieferketten. Diese werden wir in den Zulieferketten finden, die weit näher an die eigenen Produktionsstätten rücken. So können wir Störungen in den Supply Chains minimieren.
Wir haben sehr umfassend und meist kritisch gesprochen. Nun andersrum: Was macht Ihnen Hoffnung und Mut für die hiesige Wirtschaft?
Da nur positives Denken und Handeln auch positive Ergebnisse bringen können, bin ich für die Zukunft grundsätzlich optimistisch. Zumindest dann, wenn Wirtschaft und Politik die angesprochenen Aufgaben und Probleme rasch anpacken. Dazu gehört, personell zu reagieren, wenn bemerkt wird, dass das Know-how im Supply Chain Management nicht ausreichend vorhanden ist. Die Frage darf dabei nicht heißen: Was kosten mich ein guter Rat und die Anpassung meines Unternehmens an die neuen Marktdynamiken? Sie muss lauten: Was kostet es mich, wenn ich es nicht mache und das Boot zum anderen Ufer verpasse? Wer das verinnerlicht, hat bereits einen entscheidenden Schritt nach vorne gemacht.