Herr Velkovski, im vergangenen Jahr ist vieles deutlich teurer geworden. Wie bewerten Sie als Preis-Experte die Inflation?
Die Inflationsrate war im Mai mit 6,2 Prozent ziemlich hoch. Aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten liegt die gefühlte Inflation sogar bei 18 Prozent. Das führt dazu, dass bei Nahrungsmitteln sogenannte Substitutionsprodukte infrage kommen. Das sind Ersatzgüter. Die Menschen stellen ihren Konsum um - oder verzichten.
Unternehmen rechtfertigten die Preisanstiege mit erhöhten Kosten. Sie sprechen von teurer Energie und Rohstoffknappheit. Sind die Argumente noch angemessen?
Aus Sicht eines Preis-Experten: Nein, das sind sie meist nicht. Viele Produktionskosten bewegen sich wieder auf dem Niveau vom Februar 2022, also der Zeit vor dem Ukraine-Krieg. Viele Preiserhöhungen, die zu der aktuellen Teuerungsrate führen, sehe ich nicht als berechtigt an.
Gibt es Branchen, die die Situation besonders maßlos ausgenutzt haben?
Ich denke vor allem an die HoReCa-Branche. Also Hotels, Restaurants, Cafés. Sie haben die Preise damals zwangsläufig anheben müssen. Jetzt, wo es ruhiger geworden ist, haben sie die Anpassung nach unten jedoch versäumt. Es scheint so, als wollen die Unternehmen die Verluste der Corona-Pandemie aufholen.
Sich auf eine Branche zu konzentrieren, wirkt etwas unfair. Wo sehen Sie aktuell noch einen erheblichen Preisanstieg?
Bei vielen Fast-Moving-Gütern, die via soziale Medien beworben oder verkauft werden. Die Sales- und Marketingkosten sind generell deutlich gestiegen. Ein signifikanter Anteil dieser Kosten fließt an Social-Media-Plattformen und Suchportale. Ein Produkt, das in der Herstellung vielleicht 40 bis 50 Euro kostet, ist aufgrund der Marketingkosten und Margenerwartung unter 400 Euro kaum noch zu haben.
Zuletzt sanken die Preise. Wie kommts?
Supermärkte reduzieren die Preise auf Grundnahrungsmittel. Das ist gut, jedoch nur selektiv und nicht flächendeckend. Ist also bei Weitem noch nicht ausreichend.
Abgesehen von der aktuellen Situation sind Preise, die uns jeden Tag begegnen, entscheidend für jedes Unternehmen. Wenig definiert Angebot und Nachfrage so stark wie das, was etwas kostet. Als Pricing-Experte beraten sie zahlreiche Unternehmen genau dabei. Was für Projekte betreuen Sie?
Grundsätzlich gibt es drei unterschiedliche Herausforderungen, bei denen ich Unternehmen unterstütze.
Die Preisfindung oder Entwicklung eines innovativen Pricing-Modells für ein neues Produkt oder eine neuartige Technologie. Das ist ein äußerst wichtiges Projekt. Organisationen haben nur eine Chance auf den ersten Preis. Mit diesem positionieren sie sich am Markt.
Das Pricing in einer Organisation verankern. Es geht darum, das Preismanagement als Thema zu professionalisieren und zu etablieren. Dazu zählen Preisstrategie, Preis-Systeme, Pricing-Prozesse und Pricing-Governance an.
Und dann wären da noch die Pricing-Analytics. Wie lässt sich durch die richtigen Hebel die Marge verbessern? Auch das ist eine häufige Aufgabe.
„Ein Eingriff am Preis verändert immer die Positionierung innerhalb der Mitbewerber.“
Was ist entscheidend, wenn Sie einen guten Preis finden wollen?
Dass die Beteiligten verschiedene Perspektiven berücksichtigen. Ich muss zunächst nach innen schauen, verstehen, was ein Produkt in der Herstellung kostet. Preise müssen diese Aufwände, wenn keine entgegengesetzte strategische Ausnahme-Entscheidung vorliegt, mindestens decken.
Ebenso wichtig ist der Markt. Die Wettbewerbssituation ist ein wichtiger Faktor, vor allem beim Finden eines Preiskorridors. Man muss wissen: Ein Eingriff am Preis verändert immer die Positionierung innerhalb der Mitbewerber.
Und dann natürlich die Perspektive der Konsumierenden. Für wie viele Kundinnen und Kunden ist so ein Angebot überhaupt erschwinglich? Welchen Mehrwert generiert das Produkt? Noch wichtiger: Wird dieser Mehrwert auch so wahrgenommen? Wie verhält es sich mit der Zahlungsbereitschaft? Diese entscheidenden Fragen muss ich beantworten.
Wie gewichten Sie zwischen den Kriterien?
Es gibt harte und variable Faktoren. Zu den harten gehört, dass der Preis kostendeckend ist, die Margen- und Umsatzziele erfüllt sind und dass die Marktposition nicht darunter leidet. Ein variables Entscheidungskriterium ist die Positionierung gegenüber dem Wettbewerb. Und extrem relevant: die subjektive Preiswahrnehmung der Kundinnen und Kunden. Ich spreche gerne von der Preisfairness.
Warum ist die Preisfairness wichtig?
Konsumierende spüren unfaire Preise. Das hat einen signifikanten Effekt auf die Loyalität der Kundinnen und Kunden sowie den Customer Lifetime Value. Also auf das, was die Konsumierenden langfristig an Einnahmen generieren. Solange es nur ein einziges Angebot gibt, nehmen sie auch unverhältnismäßige Erhöhungen wortwörtlich in Kauf. Sobald eine Alternative verfügbar ist, erlischt diese Akzeptanz. Die Kundinnen und Kunden sind sofort weg. Sogar dann, wenn das preislich faire Angebot qualitativ etwas minderwertiger ist. Ich rate daher immer zu anständigen Preisen. Sie binden die Zielgruppe an das Produkt.
Kurz und knapp: Was ist Ihre Definition von einem guten Preis?
Dass er kostendeckend ist, die Margen- und Umsatzziele erfüllt und trotzdem fair ist.
Wie wichtig ist es, dass Unternehmen einen Preis gut kommunizieren?
Ich unterscheide zwischen B2B und B2C. In der Ansprache von Endverbraucherinnen und Endverbrauchern kommuniziert der Preis an sich schon genug. Menschen bilden sich ohnehin eine Meinung. Im Business-Kontext ist Kommunikation wichtiger. Geschäftspartner und Partnerinnen wollen oft wissen, wie deine Preissteigerung zustande kommt. Diese müssen Dienstleister und Produzenten in einer Verhandlung mit plausiblen Argumenten rechtfertigen.
"Fair ist für sie der maximale Preis, den Kundinnen und Kunden zahlen möchten. Doch genau mit diesem Vorgehen verspielt man schnell seinen Umsatz."
Woran scheitern Unternehmen am häufigsten?
Meistens an der Komplexität, Dynamik, Marktunsicherheit und -transparenz. Eine Ursache ist eine unzureichende Allokation der Ressourcen beim Preismanagement. Das heißt: Preise werden nicht rasch genug an Kostenerhöhungen angepasst. Selbstverständlich ist die Gefahr immer da, die Preise zu niedrig (fehlender Umsatz) oder zu hoch (fehlender Absatz) zu setzen.
Andere Unternehmen scheitern an der Preisfairness. Sie schauen nur auf die eigene Perspektive. Fair ist für sie der maximale Preis, den Kundinnen und Kunden zahlen möchten. Doch genau mit diesem Vorgehen verspielt man schnell seinen Umsatz.
Gibt es Beispiele für ein Unternehmen mit unfairen Preisen?
Auch wenn der Konzern nicht unter ihnen leidet: Apple. Wer beispielsweise von 128 Gigabyte Speicher auf 256 upgraden möchte, zahlt dafür mehr als 100 Euro. Dabei wird nur ein etwas teurerer Chip verbaut. Der mag geschätzt im unteren zweistelligen Bereich mehr kosten.
Apple ist trotzdem wahnsinnig erfolgreich.
Die Marke hat berechtigterweise Fans. Auch ich bin trotz des Bewusstseins für den unfairen Preis ein Apple-Nutzer.
Warum?
Wer einmal im Apple-Universium ist, Smartphone, Tablet und Laptop nutzt, hat hohe Switching-Kosten, wenn man alles umstellen will. Außerdem ziehen viele andere Android-Anbieter nach. Der hohe Preis des Preisleaders ist für sie auch eine Chance, die Margen zu erhöhen. Trotzdem möchte ich Apple nicht verteufeln. Mit dem iPad haben sie den kompletten Markt für Computer verändert. Das Tablet ist die günstige Version eines MacBooks und besitzt schon jetzt einen signifikanten Anteil am Laptop-Markt.
„Unternehmen sollten schnell herausfinden, welcher Preis zur Profitabilität führt.“
In welcher Phase der Produktentwicklung muss der Preis definiert sein?
So früh wie möglich, spätestens nach dem Produktkonzept. Unternehmen sollten schnell herausfinden, welcher Preis zur Profitabilität führt. Oder ob er am Markt überhaupt durchsetzbar ist. Spannender ist zudem die Frage: Wann ist ein Produkt überhaupt neu?
Ihre Antwort?
Erst dann, wenn es für die Kundinnen und Kunden neu ist. Das hat mein Marketing-Professor häufiger gesagt. Ein Smartphone ist potenziellen Käuferinnen und Käufern bereits bekannt – auch bei Weiterentwicklungen. Daher sollten sich auch die Preise im Bereich des Gewohnten befinden.
Eigentlich sollten Produkte mit jedem Produktionszyklus günstiger werden. Immerhin läuft die Fertigung jeden Tag effizienter.
Das stimmt. Kostenvorteile von 10 bis 20 Prozent sollten durch verschiedene Effekte mit jeder Verdoppelung der kumulierten Produktionsmenge erzielbar sein. Doch das wäre zu einfach gesagt, denn es wird auch neue Technik verbaut. Grundsätzlich ist der Einwand aber berechtigt. Die Teuerungen liegen meist deutlich über den erhöhten Produktionsaufwänden.
Zur Einordnung: Wie viele der Preise, die uns täglich begegnen, bewerten Sie als strategisch durchdacht?
Schwierig zu sagen. Wie ein Preis zustande kommt, ist je nach Preismodell sehr unterschiedlich. Dasselbe gilt für die Ausgangslage von Unternehmen. Manche Konzerne wie Apple müssen nur wenige Price-Points managen. Das heißt: Es gibt eine verhältnismäßig geringe Produktvielfalt für viele Kundinnen und Kunden. Andere Firmen müssen dagegen nicht selten über eine Million unterschiedlicher Price-Points kontrollieren. Das erschwert deren Analyse, Preissetzung und -anpassung.
Supply-Chain-Experte Dr. Wolfgang Partsch berichtete im Interview mit KRONGAARD, wie Modeunternehmen in Echtzeit die Produktion ihrer Kollektion anpassen können. Wie wichtig wird für diese Unternehmen die Automation?
Sie ist essenziell. Irgendeine Intelligenz sollte Preise dynamisch steuern können. Künstlich muss sie dafür nicht sein. Es braucht aber definierte Regeln, nach denen eine Software die Preise anpasst. Je nach Nachfrage oder Konkurrenz. Wobei eine Sache wichtig ist: Preisdynamik ist keine Erscheinung der Neuzeit. Sie gibt es seit mehr als 1.000 Jahren.
Inwiefern?
Damals gaben Basar-Verkäuferinnen und -verkäufer die Preise je nach Kleidung und Kluft der Kundschaft an. Wer wohlhabend aussah, musste spontan mehr zahlen.
Inwieweit könnten künstliche Intelligenzen – die Experte Anatolij Zelenin nicht unkritisch sieht – die Preisdynamik erhöhen?
Amazon hat eine Zeit lang die Preise für Smartphone-User höher gestaffelt als für die Menschen am Desktop. Der Gedanke war: Wer ein relativ teures Gerät besitzt, besitzt eine höhere Zahlungsbereitschaft. KI könnte neue Werkzeuge der individuellen Preisanalyse liefern. Im begrenzten Rahmen von ein bis fünf Prozent Preisanpassung sehe ich solche Tricks nicht allzu kritisch. Unternehmen müssen aber, wenn es um Preisänderungen von 10 bis 50 Prozent geht, beachten, dass sie mit solchen Aktionen ihre über Jahre aufgebaute Credibility, das Vertrauen, massiv gefährden.
„Der hohe Preis ist kein Garant mehr für eine hochwertige Verarbeitung.“
Früher hieß es: Wer günstig kauft, kauft zweimal. Inwieweit ist der Preis auch heute noch ein Indikator für Qualität?
Das ist leider Vergangenheit. Heute sage ich: Wer eine Waschmaschine kaufen will, die zehn Jahre hält, sollte eine gebrauchte kaufen, die bereits so alt ist. Leider lässt die Qualität deutlich nach. Der hohe Preis ist kein Garant mehr für eine hochwertige Verarbeitung. Ferner setzen Firmen einen höheren Preis, um fälschlicherweise eine höhere Qualität zu signalisieren. Das beeinflusst leider dann auch die Kundenwahrnehmung in Bezug auf Qualität.
Trotzdem lässt sich mit einem stattlichen Preis der vermeintliche Wert einer Ware steigern.
Das beste Beispiel ist Wein. In einer Studie sollten Menschen verschiedene Sorten aus unterschiedlichen Preiskategorien verkosten. Erst als die Teilnehmenden den Preis kannten, bekamen diese Weine tatsächlich bessere Noten. Die Wahrnehmung des Gehirns wird ausgetrickst. Es ist so programmiert, dass es relativ hohe Preise als qualitätssteigernd wahrnimmt.
Es fühlt sich auch schlecht an, eine gut schmeckende, aber nur drei Euro kostende Flasche zu verschenken.
Ich kann einen Tipp geben: Menschen verschenken auch die Information, dass sich ein hochwertiger Wein hinter dem unscheinbaren Etikett verbirgt. Auch das hat einen Wert.
Nun schwören große Unternehmen auf ihre Fähigkeiten als Berater beim Pricing. Welche Optimierungspotenziale erleben sie besonders oft?
Firmen ignorieren die Perspektive der Kundinnen und Kunden. Sie verlangen einen Premium-Preis für ein Produkt, das aber gar nicht als Premium wahrgenommen wird.
Häufig gibt es keine klaren Prozesse und Verantwortlichkeiten. Wer Kosten definiert, den Preis bildet und später durchsetzt – all das ist nicht klar abgegrenzt.
Wann müssen Unternehmen einen Preis spätestens anpassen?
Wenn ein Produkt ein großes Interesse, aber keine Verkäufe generiert. Dann scheint die Preisschwelle zu hoch. Ein anderer Indikator sind Waren, die sich zu gut verkaufen. Dann könnte der Wert für die Zielgruppen nicht ausreichend bemessen sein - und es noch Raum zu einem fairen Preis geben.
Erzählen Sie von Ihrer Arbeit als Berater. Sie waren immerhin schon in der Technologie-, Nahrungsmittel- und Medien-Branche tätig. Was ist für Sie ein besonders spannendes Projekt, in dem Sie die Preise definieren durften?
Ich lasse mich sehr leicht für die Produkte und Leistungen meiner Kunden begeistern. Zudem knie ich mich grundsätzlich in jede Aufgabe. Auch wenn es um vermeintlich triviale Produkte geht.
Wie wichtig ist für Unternehmen der Blick von außen für eine erfolgreiche Preisstrategie?
Es ist hilfreich, wenn sich Unternehmen von Menschen mit Erfahrungen aus anderen Branchen beraten lassen. Das Flatrate-Pricing aus der Telekommunikation lässt sich beispielsweise auf einige andere Wirtschaftszweige übertragen. Wenn Firmen Expertinnen und Experten beauftragen, die schon über den Tellerrand geguckt haben, kann sich das nur positiv auswirken.
Zum Abschluss: Für welches Unternehmen würden Sie gerne am Preis „schrauben“?
Ganz klar bei Apple. Dann wäre das Upgrade auf ein höheres Speichervolumen sicher rasch fair bepreist.