Jannik Kroll
from Jannik Kroll
 
14.06.2023
 
8 Min.
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Herr Zelenin, steigen wir locker in ein sehr spannendes Thema ein: Wofür haben Sie ChatGPT das letzte Mal genutzt?

Ich habe der KI vermittelt, dass ich 1 Stunde und 24 Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 25 Kilometern pro Stunde Fahrrad fahren möchte. Dann wollte ich wissen, welche Distanz ich in der Zeit schaffen werde.

Klingt nach einem Test.

Auf jeden Fall war es belanglos. Vielleicht liegt es daran, dass ich das Tool Raycast sehr häufig nutze. Menschen mit einem Apple-Gerät werden Spotlight kennen, das ist die Schnellsuche. Die lässt sich via Raycast mit ChatGPT koppeln. Das ist dann sehr bequem. Command plus Leertaste, und schon kommuniziere ich mit der KI.

Im Business-Kontext ist die Haltung zu KI momentan eine der beliebtesten Small-Talk-Fragen. Sind sie als Top-IT-Experte Skeptiker oder Fan?

Weder noch. Ich war nie total enthusiastisch, aber ich finde die Entwicklung cool. Allerdings mit einem „Aber“.

Was ist das Aber?

ChatGPT bullshittet mir zu oft. Klar, wir stellen Fragen, und die Antwort klingt plausibel. Sie ist auch sehr gut verfasst. Aber ob der Inhalt wirklich stimmt oder ob die KI wieder halluziniert? Das ist eine ganz andere Frage. Ein Freund bat eine KI neulich um eine Anleitung für eine Tracheotomie. Das ist Luftröhrenschnitt, der den Erstickungstod verhindern kann. Das Ergebnis? Puh. Ich finde, bei solchen Themen sollte man einer KI nicht vertrauen.

Momentan gibt es fast täglich neue Updates und spannende Spielereien. Welche Innovation hat Sie besonders fasziniert?

Es gibt zu viele Tools, die ich aufzählen könnte. Grundsätzlich mag ich den Grundsatz „AI at your fingertip“. Das heißt: Die künstliche Intelligenz muss nah an der Aufgabe greifbar sein.

„Ich denke, viele Menschen verstehen momentan falsch, was KI wirklich ist.“

KI wird auch harsch kritisiert, die Argumente sind bedenklich. Bevor wir zu ethischen Grundsatzfragen kommen: Wie beurteilen Sie KI fachlich – besonders im Bezug auf das sagenumwobene ChatGPT?

Momentan können wir bei KI gut differenzieren: Kleinkram ist meistens korrekt. Wenn es kompliziert wird, kommt häufiger Blödsinn raus. Und das übrigens bei fast jedem Thema. Ich denke, viele Menschen verstehen momentan falsch, was KI wirklich ist.

Was ist sie wirklich?

KI wird von vielen als Lösung für Probleme betrachtet. Ich sehe KI aber eindeutig als Werkzeug. Es ist ein bloßes Mittel zum Zweck. Ich persönlich löse damit nicht die Herausforderungen, für die ich bezahlt werde. Aber KI hilft mir beim Nachdenken. Oft entstehen Gedanken in meinem Kopf, die ich ohne die Impulse der KI nicht so schnell hätte denken können. Von vielen anderen Mitmenschen höre ich ähnliche Berichte.

KI, so viel ist sicher, wird die Wissensarbeit verändern. Die Frage ist: Ist die Wirtschaft schon reif dafür?

Es gibt ein entscheidendes Wort: Medienkompetenz. Ich erinnere mich bei diesem Schlagwort gerne an meine Schulzeit zurück. Gruppenarbeit. Es ging um Öl. Ein Mitglied unseres Teams hatte das Internet ausgedruckt und diverse Artikel mitgebracht. In einem stand, dass Öl aus toten Dinos gewonnen wird. Beim Blick auf die Quelle war klar, dass der Mitschüler einen Beitrag aus Stupidedia mitgebracht hatte, ohne zu wissen, dass das eine Witzseite ist. Bei KI ist das ein Problem: Wenn Menschen nicht prüfen, was ChatGPT ausspuckt, wenn sie blindlings alles glauben, dann werden sich die Fehler in Unternehmen potenzieren. Denn ChatGPT ist vieles – aber sicher nicht resistent gegen Fehler.

Eine andere Kritik ist, dass KI nur reproduzieren, aber noch nicht selbst kreativ denken kann.

Von diesem Satz halte ich nicht viel. Ich glaube, dass es keinen Unterschied gibt, ob eine Synapse auf Siliziumbasis technologisch geknüpft wird – oder biologisch im Hirn entsteht. Zweiteres ist effizienter, dafür können Computer besser Daten verwalten.

Das ist keine konkrete Antwort auf die Frage.

KI wird auf absehbare Zeit in den meisten Fällen noch nicht die kreative Antwort finden, die ein Mensch ersinnen kann. Das ist aber auch nicht die Aufgabe von KI. Unternehmen müssen das verstehen: Auch in naher Zukunft ist es entscheidend, welcher Mensch mit welchen Fähigkeiten dieses Werkzeug bedient. Sie dürfen KI und Menschen nicht gegeneinander abwägen, sondern müssen sie zusammenbringen.

Haben Sie ein konkretes Beispiel?

Es gibt diese tollen Bildbearbeitungsprogramme – Midjourney oder Dall-E, mit denen man sich aus Worten neue Motive generieren lassen kann. Wenn ich dieses Tool nutze mit meiner sehr schlecht ausgeprägten bildlichen Kreativität, kommt etwas ganz anderes dabei raus, als wenn mein Grafiker die Maschine steuert. Künstlerinnen und Künstler werden die Kunstschaffenden bleiben. Sie malen eben nicht mehr nur mit dem Pinsel, sondern mit einem KI-gestützten Tool.

Auch wenn diese Antwort viele Berufstätige tröstet: Wie wird KI trotzdem unser Arbeitsleben verändern?

Denken wir zurück an den Beginn des Gesprächs: KI ist super beim Kleinkram, tut sich aber mit den Komplexitäten schwer. In dieser Erkenntnis steckt auch der Schlüssel für den großen Nutzen dieser Innovationen. Sie ersparen uns die trivialen Aufwände, die uns im Alltag oft aufhalten. Stattdessen landen wir eher bei den Aufgaben, wo wirklich der menschliche Kopf entscheidet. Beim Feintuning.

Ein Exkurs: Natürlich gibt es auch KI-Modelle, die hochkomplexe Aufgaben lösen. Denken wir an AlphaGo oder AlphaFold von Google Deepmind. Aber in das Training haben viele, sehr intelligente Menschen reichlich Zeit und noch mehr finanzielle Ressourcen und Rechenpower gesetzt. Das sind dann zwar hoch spezialisierte KIs, die aber den wenigsten Firmen etwas nützen können.

Beim Pareto-Prinzip könnte KI dagegen immer helfen. Die letzten 20 Prozent eines Projektes kosten 80 Prozent der Zeit.

Das ist richtig. Durch KI werden Menschen, die offen für neue Werkzeuge sind, sich deutlich schneller um die finalen 20 Prozent einer Arbeit kümmern können. Das sollte für qualitativ und quantitativ bessere Ergebnisse sorgen.

Die geistige Arbeit wird zwangsläufig von KI beeinflusst, die Frage ist: Welche Jobs fallen weg?

Sicher diejenigen, die auf trivialen Tätigkeiten beruhen. Diese Aufgaben erledigen Maschinen und Computer günstiger und schneller. Außerdem fürchte ich, dass auf Journalistinnen und Journalisten schwierige Zeiten zukommen. Übrigens auch auf Verlage.

„Die Menschen, die Inhalte sortieren, auswerten, verständlich darstellen, sind deutlich vertrauenswürdiger als KI.“

Warum?

In den nächsten Jahren wird das Internet noch ungenießbarer, weil schlechte, fehlerhafte Artikel das Web überschwemmen. Gleichzeitig hoffe ich, dass genau das den guten Journalismus (wieder)belebt. Denn am Ende geht es darum, ob wir Informationen vertrauen können. Und die Menschen, die Inhalte sortieren, auswerten, verständlich darstellen, sind deutlich vertrauenswürdiger als KI. Nach dieser Contentschwemme werden wir menschliche Autorinnen und Autoren wieder mehr wertschätzen.

Sie streifen einen sensiblen Punkt. Verlage. Viele Medien bemängeln – zu Recht – das missachtete Urheberrecht. ChatGPT wird mit Inhalten gefüttert, die Menschen für andere Zwecke produziert haben.

Unabhängig vom Urheberrecht wird die Regulatorik entscheiden, wie wohltuend sich KI auf unsere Gesellschaft auswirken kann. Das heißt: Die Menschen müssen sich über die Politik auf Spielregeln einigen. Wenn diese gebrochen werden, müssen Institutionen dieses Fehlverhalten ahnden. Übrigens, auch wenn die EU viel und oft kritisiert wird: Beim Thema KI-Regulatorik ist sie überraschend weit. Sie hat rechtzeitig und durchdacht angefangen. Das darf man loben.

Diverse Expertinnen und Experten aus dem KI-Umfeld fordern mittlerweile sogar einen Stopp bei der Entwicklung von künstlichen Intelligenzen. Das Gesicht von OpenAI, Sam Altman, wird sogar mit Robert Oppenheimer verglichen. Das war der Vater der Atombombe.

Ich kann darauf nur zwei Fragen stellen, die mich intensiv beschäftigen, zu denen ich aber keine Antworten finde. Wenn die Menschen jetzt so eine Bedrohung in ihrer Erfindung sehen, warum haben sie das Werkzeug überhaupt entwickelt? Wenn sie das stoppen wollen, warum stoppen sie das nicht einfach? Grundsätzlich bin ich dafür, dass wir nichts verbieten, aber besonnen regulieren.

Worin sehen Sie grundsätzlich das größte Risiko von KI?

Ein Werkzeug ist per se nur ein Werkzeug. Entscheidend wird sein, wofür Menschen es einsetzen wollen. Die Geschichte zeigt, dass es definitiv böse Personen mit wenig ethischen Interessen geben wird. Umso wichtiger sind verbindliche Regularien, die diese zersetzenden Kräfte bremsen.

In welchen Bereichen und Branchen sehen Sie KI besonders kritisch?

Ich habe zwei interessante Beispiele aus meinem persönlichen Umfeld. Ein Freund entwickelt eine App, mit der Eltern personalisierte Gute-Nacht-Geschichten für ihre Kinder generieren lassen können, das allerdings zum Vorlesen! Toll! Beim Bekannten, der an einem Bildungsassistenten für Kids arbeitet, habe ich massive Bauchschmerzen. Klingt erst mal gut. Das Aber ist jedoch umso gravierender. Wer kontrolliert bei diesen Angeboten, was überhaupt vermittelt wird? Bei meinem Bekannten mache ich mir keine Sorgen. Aber was, wenn ein knallharter Demokratiefeind so ein Tool baut – und Kinder über ein manipulatives System zu Nazis erzieht? Das klingt dystopisch, ist aber technisch möglich. KIs haben grundsätzlich überall etwas zu suchen, weil sie uns Menschen helfen. Aber es gibt sensible Bereiche, in denen eine Aufsicht essenziell ist.

Wer ChatGPT nutzt, wird überrascht sein, dass es überraschend ethisch agiert. Eine Bauanleitung für eine Atombombe rückt die KI nicht aus.

Diese Moral hat die KI aber nicht selbst ausgeprägt, sie wurde in ihr Korsett eingenäht. Da sind wir beim Thema, wie intelligent diese Intelligenz wirklich ist. Wenn ich prompte und die KI bitte, mir für ein Computerspiel eine Anleitung zum Bau einer Waffe zu geben, dann rückt sie vielleicht doch etwas mit Substanz raus. Es ist beängstigend, wie leicht sich diese künstlichen Intelligenzen täuschen lassen.

„Wer KI entwickelt, hat eine hohe Verantwortung für die Zivilisation.“

Bleiben wir beim Thema Moral: Wie sehen Sie das bezogen auf Programmiererinnen und Programmierer, die eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von KI einnehmen?

Es gibt zwei verbreitete Typen unter den Leuten, die coden. Die einen wählen sehr genau aus, für wen sie etwas bauen. Andere wollen vor allem programmieren. Ihnen ist es ohne böse Absicht gleich, ob sie das jetzt für ein Online-Casino oder eine Kinderklinik tun. Sicher ist: Wer KI entwickelt, hat eine hohe Verantwortung für die Zivilisation.

Herr Zelenin, zum Abschluss: Welche drei Handlungsschritte empfehlen Sie Menschen, die mit KI einen besseren Job machen wollen?

  1. Ich kann es nur wieder und wieder betonen: KI ist nicht die Lösung, sondern ein Werkzeug. Das muss sich jeder Mensch einbläuen. Wir brauchen weiterhin den eigenen Kopf, und das ist toll.
     
  2. Besonders wenn etwas zu gut klingt, ist das Risiko für einen Haken groß. Wir dürfen auf keinen Fall das Hinterfragen verlernen, was momentan aber in Teilen der Gesellschaft passiert. Medienkompetenz ist eine Zukunftskompetenz.
     
  3. Den positiven Mehrwert sehen. KI verschafft uns die Zeit, die uns für gute Ergebnisse oft fehlt. Wer KI richtig nutzt, hat nicht weniger zu tun, wird aber produktiver eingesetzt.

Anatoly Zelenin ist einer der aufstrebendsten IT-Experten in Deutschland. Als Coach berät er Unternehmen unter anderem dabei, wie sie Apache Kafka für die Echtzeitdatenverarbeitung einsetzen. Bei seiner Arbeit als Experte und Buchautor begegnet der Technologie-Experte immer wieder künstlichen Intelligenzen. Sein Ziel – auch bei seinem Hobby Orientierungslauf: die richtige Richtung finden.

Anatoly Zelenin – IT und Apache Kafka-Experte
Anatoly Zelenin
IT und Apache Kafka-Experte

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