Jannik Kroll
from Jannik Kroll
 
01.06.2023
 
9 Min.
KRONGAARD-content-hub-Georgios Charmes

Herr Charames, kritisch gefragt: Arbeiten Sie mit Ihrer Firma Lunatec daran, dass Menschen ihren Job verlieren?

Nein. Im Gegenteil: Wir wollen bei der Gestaltung der automatisierten Welt eine führende Rolle einnehmen und dazu beitragen, dass Automatisierungslösungen weltweit so eingesetzt werden, dass sie Menschen und Unternehmen gleichermaßen zugutekommen. Wir möchten maßgeblich dazu beitragen, dass die Automatisierung von der Gesellschaft als Chance und nicht als Bedrohung wahrgenommen wird. Dafür müssen wir eine breitere Debatte über die Rolle der Automatisierung in unserer Welt anstoßen. Wir streben danach, eine automatisierte Welt zu schaffen, in der die Stärken von Menschen und Robotern nahtlos ineinandergreifen.

„Automatisierung entlastet – wenn wir sie gut konzipieren und integrieren – die Menschen.“

Wie soll diese Gleichung aufgehen? Dort, wo Aufgaben wegfallen, sinkt der Bedarf nach menschlicher Arbeitskraft. Das ist Fakt.

Es ist unvermeidbar, dass Tätigkeiten – und am Ende auch Jobs – mit der Zeit wegfallen. Aber was sind das für Aufgaben? Um die Frage selbst zu beantworten: oftmals geistig repetitive, also wiederkehrende Handlungen. Diese können Maschinen schneller und besser erledigen. Das Gute ist: Für viele Menschen sind diese Jobs ohnehin eine stressige Belastung. Sie haben keine Freude daran. Wenn diese Tätigkeiten wegfallen, können sich diese Mitarbeitenden in anderen Bereichen besser entfalten. Zudem sind unzählige Berufstätige seit Jahren stark überlastet. Sie arbeiten nicht 40, sondern 50 Stunden und mehr in der Woche. Und das, weil sie Jobs händisch erledigen müssen, die ein automatisierter Prozess zügiger abbilden könnte. Automatisierung entlastet – wenn wir sie gut konzipieren und integrieren – die Menschen.

Nach diesem kontroversen Beginn eine Einordnung: Was verstehen Sie unter Automatisierung?

Es gibt tatsächlich unterschiedliche Interpretationen des Begriffes. Wir arbeiten mit Lunatec daran, dass administrative Tätigkeiten, die Menschen noch mühsam am PC erledigen, in vollständig automatisierten Prozessen ablaufen.

Haben Sie konkrete Beispiele?

Das kann eine Steuerkanzlei sein, die mithilfe von Automatisierung die Jahresabschlüsse der Klientinnen und Klienten automatisch erstellt. Oder eine Wohnungsbaugesellschaft, die die Anpassung von Tausenden Mietverträgen auf diesem Weg vornimmt. Das Anlegen von Aufträgen, das Rechnungswesen oder die Verwaltung von SEPA-Lastschriftmandaten lassen sich ebenfalls automatisieren. Es geht darum, dass Unternehmen zeitaufwendige Abläufe beschleunigen und darüber die Mitarbeitenden entlasten.

Für wen ist Automation geeignet?

Theoretisch für alle Unternehmen.

»Theoretisch?«

Ein belastbarer Business Case ist entscheidend. Kosten und Nutzen müssen passen. Von der Automatisierung der Automatisierung wegen rate ich ab.

Gibt es trotzdem eine Eingrenzung, welche Unternehmen eher infrage kommen als andere?

Generell kann ich sagen, dass Konzerne stärker von Automatisierung profitieren als kleinere Organisationen. Je häufiger ein Prozess durchgeführt wird, desto größer sind die Einsparungseffekte. Es gibt jedoch Ausnahmen, in denen kleine Unternehmen sehr umfangreiche Informationen kontrollieren und steuern müssen. Bei Lunatec haben wir verschiedenste Kundinnen und Kunden im Portfolio. Das reicht vom 20-Personen-Unternehmen bis zum Dax-Konzern.

Wie viele der Firmen, für die Automation infrage kommen sollte, setzen sie aktiv ein?

Laut der aktuellen Studie einer führenden Unternehmensberatung nutzen bereits 78 Prozent der Firmen hierzulande automatisierte Prozesse. Weitere 16 Prozent planen das in absehbarer Zeit. Dennoch bewerte ich diese – für uns positiven Umfragen – als schwammig. Nur weil wer automatisiert, heißt es nicht, dass es am richtigen Ort im richtigen Umfang geschieht.

Angenommen Sie müssen ein Unternehmen von einem Ausbau der Automatisierung überzeugen: Was sind Ihre stärksten Argumente?

Die Argumentation ist vielschichtig, es gibt unterschiedliche Ansätze. Da ist als Erstes die Wettbewerbsfähigkeit. Wer auf automatisierte Prozesse vertraut, arbeitet effizienter. Wer effizienter arbeitet, vermeidet Kosten. Und wer Kosten vermeidet, bietet Produkte günstiger an. Und wer die gleiche Qualität schneller und günstiger liefern kann, wird allen davoneilen. Automatisierung wird in zahlreichen Branchen darüber entscheiden, wer sich im Wettbewerb behaupten wird und wer nicht.

Genauso spannend sind die Auswirkungen auf die Mitarbeitenden. Repetitive Arbeit, um nicht zu sagen monotone Arbeit, kann verschiedene mentale Probleme verursachen. Wir erleben es oft, dass Menschen in Jobs tätig sind, in denen sie ihr Potenzial kaum entfalten können. Besonders jetzt, wo vielerorts Fachkräfte fehlen, ist das ärgerlich. Wer Automatisierung strategisch denkt und Mitarbeitende mitnimmt, wird demnach mehrfach profitieren.

Man könnte aufgrund dieser Vorteile meinen, dass Unternehmen Ihre Firma Lunatec mit Anfragen überrennen.

So einfach ist das leider nicht. Anders als vor Jahren müssen wir den Unternehmen zwar seltener erklären, worum es bei Automatisierung geht. Das wissen sie mittlerweile. Es ist auch ein gewisses Interesse spürbar. Doch in dieser Neugier schwingen meist Zweifel mit.

Wie begegnet man diesem Unbehagen?

Wir wollen Ängste nehmen. Pilotprojekte bieten sich dafür besonders an. Bei diesen picken wir uns eine kleine Etappe der Automatisierung aus. Die ist rasch abbildbar und zeigt trotzdem weitere Potenziale auf.

Was könnte so ein Pilotprojekt sein?

Jedes Unternehmen hat unterschiedliche Prozesse. Wichtig ist, dass wir bei dem jeweiligen Kunden mit einem Prozess anfangen, dessen Automatisierung auch Mehrwerte bringt. 

Häufig fangen wir mit dem Übertragen von Daten in das ERP-System des Kunden an. Zum Beispiel das Auslesen von Rechnungsdaten oder Aufträgen und die Übertragung in SAP. Allein das macht die Leute neugierig. Wenn wir damit überzeugen, können wir danach darstellen, dass innerhalb von SAP noch deutlich mehr möglich ist. Im ersten Schritt geht es jedoch ausschließlich um ein grundsätzlich positives Gefühl.

Automation steht für Fortschritt. Wer automatisiert, gilt als zukunftsfähig. Wann ist Automation nicht zielführend?

Wenn der Business Case nicht da ist, die Automatisierung weder quantitative noch qualitative Ziele verfolgt. Und immer dann, wenn ein Prozess vom Faktor Mensch lebt. Kreation und Strategie beherrschen wir besser, Emotion sowieso. Das Personalgespräch nach einer Kündigung sollte niemals ein Roboter führen.

Wer sollte zwingend an einem Automatisierungsprozess beteiligt sein?

Auf unserer Seite sind vor allem zwei Profile gefragt: Consultants und Engineers.

Wie teilen sich die Rollen die Arbeit auf?

Unsere Business-Analystinnen und Analysten dokumentieren zunächst den Istzustand im Unternehmen. Welche Prozesse gibt es, welche davon eignen sich für eine Automatisierung? Welche Abläufe sind vielleicht schon perfekt umgesetzt? Aus dieser Analyse können unsere strategischen Köpfe gemeinsam mit Entwicklerinnen und Entwicklern die Anwendungsmöglichkeiten für die nächsten Automatisierungen definieren. Genauso entscheidend: Die Perspektive der Kundinnen und Kunden.

„Scheitert es an der Kommunikation oder werden Details unterschlagen, leidet die gesamte Entwicklungsarbeit.“

Warum?

Automatisierung kann nur richtig gut funktionieren, wenn die Mitmenschen mitziehen. Wir müssen diese Prozesse gemeinsam mit den Unternehmen erarbeiten. Unsere Consultants und Engineers sind davon abhängig, dass sie alle nötigen Informationen erhalten. Sie müssen bis ins kleinste Detail wissen, wie ein Prozess funktioniert, welche Handgriffe nötig sind. Scheitert es an der Kommunikation oder werden Details unterschlagen, leidet die gesamte Entwicklungsarbeit.

»Unterschlagen« klingt nach Absicht, nach bösem Willen. Umfragen zeigen, dass Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Automatisierung fürchten. Und die Angst um den Job kann auch in anderen Bereichen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber Veränderung führen.

Deswegen plädieren wir mit Lunatec dafür, dass wir lange vor der Einbindung der Automatisierung in das Tagesgeschäft mit den unmittelbar betroffenen Menschen in der Organisation reden. Wenn wir auf die Involvierten zugehen, wir argumentieren und etwas zeigen dürfen, lassen sich Vorbehalte abbauen. Eine Erfahrung ist bei mir sehr präsent. Eine Frau, etwa 50, tätig in der Buchhaltung, war eingangs äußerst skeptisch. Einige ihrer täglichen Aufgaben sollten von Software übernommen werden. Immer wieder stellte sie unsere Vorschläge infrage, streute, so schien es, absichtlich Sand ins Getriebe.

„Unternehmen, die etwas automatisieren wollen, brauchen Menschen, die es vorleben.“

Wie ging es aus?

Diese Mitarbeiterin war glücklicherweise nicht beratungsresistent oder verschlossen. Mit jeder für sie logisch beantworteten Frage beobachteten wir, dass die Hemmschwelle etwas kleiner wurde. Am Ende wurde aus der Skeptikerin eine Befürworterin. Ein Champion, wie wir solche Menschen nennen. Die Frau hat nach dem Abbau ihrer eigenen Zweifel bei ihren Kolleginnen und Kollegen einiges bewirkt. Für uns sind diese Botschafterinnen und Botschafter extrem wichtig. Sie können am authentischsten vermitteln, dass Automatisierung eine positive Veränderung ist.

In diesem Fall besonders bemerkenswert: Das Unternehmen hat den Wert dieser Mitarbeiterin erkannt und sie mit dem Thema organisationsweit betraut. Unternehmen, die etwas automatisieren wollen, brauchen Menschen, die es vorleben.

Abseits davon, dass Unternehmen die Potenziale dieser Mitarbeitenden manchmal übersehen: Was ist der häufigste Fehler?

Mangelnde Weitsicht. Das heißt: Manche Unternehmen denken bei der Automatisierung von Prozess zu Prozess. Dabei ist bei der Automatisierung alles miteinander verwoben. Firmen müssen auf Jahre wissen, was sie wann wie tun wollen. Eine Strategie und klare Ziele sind essenziell für eine erfolgreiche Automatisierungsinitiative.

Scheitert Automatisierung eher an der Technik oder am Menschen?

Häufiger an den denkenden Köpfen. Technologisch gibt es mittlerweile ein unglaublich großes Angebot. Für jedes Problem existiert eine passende Lösung. Für uns bedeutet das, dass wir diese Optionen kennen müssen und von Fall zu Fall das richtige Werkzeug einsetzen oder empfehlen. 

Was sind für Sie die ersten Warnsignale eines komplizierten Projekts?

Wenn es zwischenmenschlich nicht harmonieren will zwischen den Menschen auf Kundenseite und uns bei Lunatec. Das heißt nicht, dass ein Projekt definitiv misslingen wird. Aber es ist ein Indiz dafür, dass fachliche und emotionale Turbulenzen drohen. Ist Transparenz und Vertrauen vorhanden, gelingt gemeinsam fast jede Herausforderung ohne größere Ruckeleien.

Wie wichtig bewerten Sie das Charaktermerkmal Empathie bei Ihren Mitarbeitenden?

Es ist im Auswahlprozess der Bewerberinnen und Bewerber ein Ausschlusskriterium. Wenn wir einstellen, egal für welche Rolle, setzen wir Empathie voraus. Unsere Mitarbeitenden müssen sich vorstellen können, welche Gedanken Menschen, die vor einer Veränderung stehen, permanent durchdenken. Sie müssen die Perspektive der anderen Seite nicht nur akzeptieren, sondern auch verstehen. Davon ist abhängig, ob uns diese Menschen vertrauen werden.

Ist es grundsätzlich von Vorteil, wenn man extern berät?

Ja, tatsächlich. Der Status als Expertin oder Experte schafft einen Vertrauensvorsprung. Allerdings dürfen wir nicht nur Augenhöhe einfordern, sondern müssen sie auch selbst vorleben. Das heißt: Immer verständlich die Sachverhalte erklären und offen für kritische Feedbacks bleiben.

Bleibt die Frage nach den Potenzialen der Automatisierung: Wie können Unternehmen, die in dem Bereich nicht oder nur unzureichend aktiv sind, diese Chancen erkennen?

Das ist komplizierter als in anderen Bereichen, weil es kaum Unternehmen gibt, die ihren Automatisierungsgrad messen. Diesen muss man in einem Assessment mit Expertinnen und Experten individuell ermitteln. Grundsätzlich dominiert eine Fragestellung diesen Prozess: Wie viele der Bereiche, in denen sich Automatisierung lohnt, sind bereits ausreichend automatisiert? Wir sprechen in diesem Zusammenhang von dem Automatisierungsreifegrad.

Zum Abschluss, weil es momentan überall Thema ist: Haben Sie als Unternehmer Angst vor künstlichen Intelligenzen?

Ich mache mir in absehbarer Zeit keine Sorgen. Im Gegenteil: Dass Automatisierung einfacher und massenfähiger wird, sie leichter einsetzbar ist, wird für unsere Beratung gut sein. Worüber ich eher grübel: Wie werden Innovationen wie ChatGPT durch Gesetze und Regeln begleitet? Da sind unzählige Fragen offen. Ob es die Nutzung im Bildungsbereich betrifft oder ob die KIs wirklich die Neutralität bewahren können. Es ist unerlässlich, dass sich Politik, Gesellschaft und Wirtschaft auf Spielregeln verständigen.

Georgios Charames ist Co-Founder und Geschäftsführer der Frankfurter Lunatec GmbH. Diese ist einer der führenden Anbieter für intelligente Prozessautomatisierung in Deutschland und wurde im Jahr 2017 gegründet.

Georgios Charames – Co-Founder und Geschäftsführer der Lunatec GmbH
Georgios Charames
Co-Founder und Geschäftsführer der Lunatec GmbH

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