Jannik Kroll
from Jannik Kroll
 
15.09.2022
 
8 Min.
KRONGAARD-content-hub-Max Orgeldinger

Max, wir sprechen über ein Thema, das Bill Gates so bewertet: “Der NFT-Markt basiert zu 100 % auf dem Prinzip des ‚Greater Fool‘.” Bevor wir ins Detail gehen – inwieweit stimmst du ihm zu?

Ich verstehe seinen Ansatz. Die meisten der aktuellen NFTs versprechen weder erwartbare Cashflows noch einen anderweitigen Nutzen. Doch das gilt auch für Dutzende schon lange gehandelte physische Gegenstände oder Werte.

Es überrascht mich, dass wir irrationale Begeisterung für physische Kunst, Oldtimer oder Wein selbstverständlich finden. Bei virtuellen Objekten endet diese Irrationalität plötzlich.

Siehst du keinen Unterschied zwischen einem anfassbaren und einem digitalen “Gegenstand”?

Natürlich differenziere ich physische und virtuelle Güter, aber wir bewerten diese Unterschiede über. Der NFT-Markt ist volatil – wie es junge Märkte immer waren. Es entstehen neue Kulturen und Ästhetiken, die zunächst gewöhnungsbedürftig sind. Es ist zu einfach, diese pauschal abzutun.

Ich sehe keinen Grund, warum digitale Kunst und Sammelobjekte nicht irgendwann eine ähnliche Bedeutung wie ihre physischen Äquivalente haben sollten.

Wie erklärst du mit einfachen Worten, was ein Non-fungible Token ist?

In ihrer simpelsten Form machen NFTs digitale Objekte wie Kunst oder Collectibles einzigartig und ermöglichen deren Besitz. Beides lässt sich bei physischen Stücken relativ gut feststellen, bei digitalen Objekten zunächst nicht.

Daher fungieren Blockchains – dezentrale, fälschungssichere Datenstrukturen – als digitale Kontenführung. Sie sind eine Art Grundbuch und Echtheitszertifikat für digitale Güter. Bei einem NFT eines Kunstwerks lässt sich für immer nachvollziehen, von wem es initial eingetragen wurde. Dazu, wie viele Variationen es gibt, wie es gehandelt wurde und wer es momentan besitzt.

Der englische Adel führte lange Buch darüber, welches Kunstwerk sich im Besitz von wem befindet. Diese Funktion erfüllt nun die Blockchain.

Ein NFT hat seinen Wert, weil möglichst viele Menschen daran glauben. Im Gegensatz zu realen Objekten können sich alle ein digitales Bild ansehen oder kopieren. Worin liegt der Sinn, es zu besitzen oder damit zu handeln?

Was ist schon real? Auch physische Objekte können nachgeahmt werden. Die Debatte darüber ist so alt wie die Kunstwelt selbst. Gemälde wurden schon immer täuschend echt kopiert, aus legitimen oder betrügerischen Gründen. Warum zahlen Sammler*innen das Hundertfache für ein Original, wenn die Unterschiede nur unter dem Mikroskop erkennbar sind?

Um den physischen und ästhetischen Effekt geht es ihnen nicht. Spätestens mit der Drucktechnik und der Fotografie wurde Vervielfältigung ein Merkmal der physischen Kunst. Doch Sammeln bedeutet mehr. Es geht um das Besitzen von Geschichte, und das ermöglicht nur nachweisbare Seltenheit.

Für welche Branchen und Produkte sind NFTs ein geeignetes digitales Geschäftsmodell?

Als NFTs eignen sich vor allem Produkte, die schon in der greifbaren Welt gesammelt wurden. Dazu gehören Mode, Uhren, Oldtimer, Autos, Kunst, Figuren, Spiele, Sammelkarten, Comics und vieles mehr.

Doch auch digitale Artikel rund um Sportler*innen und Sportvereine können erfolgreich gehandelt werden. Besonders wenn sie aus dem Luxus- und Streetware-Bereich stammen. Je prominenter eine Sportmarke ist, desto leidenschaftlicher sind die Fans. NFTs können in jeder Branche nur mit einer passenden emotionalen Zielgruppe funktionieren.

Kannst du einige konkrete Brands nennen, die als First Mover erfolgreich mit NFTs agieren?

Im NFT-Markt gehen die Modemarken voran. Nike kaufte das NFT-Modestudio RTFKT, nachdem es bereits über 100 Millionen US-Dollar Umsatz gemacht hatte. Mithilfe der Creator*innen launcht Nike nun eigene Produkte. adidas kollaboriert ebenfalls mit NFT-nativen Projekten.

Der New Yorker Juwelier Tiffany verkaufte kürzlich 250 Ketten für mehr als 12 Millionen US-Dollar. Der Schmuck war nur zugänglich für Halter*innen von CryptoPunk-NFTs. Zu dieser Sammlung zählen mehr als 10.000 digitale Figuren. Auch Gucci und Dolce & Gabbana haben virtuelle Projekte gestartet.

Digitale Originalobjekte könnten durch Serverausfälle für immer verschwinden. Wie werden NFTs gesichert?

Viele missverstehen Blockchains als ineffiziente Datenbanktechnologie. Doch genau diese dezentrale, nicht von Institutionen abhängige und für alle nachvollziehbare Speicherung von Zuständen sichert NFTs. Das ist ihre primäre Aufgabe.

Viele NFTs speichern die digitalen Originale, beispielsweise Bild- oder Filmdateien, nicht auf der Blockchain. Wertvolle Medien lagern auf distribuierten Speichersystemen wie beispielsweise IPFS (​​InterPlanetary File System, ein verteiltes Dateisystem).

Einige Kunst-NFTs gehen noch weiter: Die Kunst selbst ist code-generiert. Da der Code auf der Blockchain gespeichert ist, lässt sich das Kunstwerk immer wieder neu generieren.

Die technischen Prozesse hinter einer Blockchain verbrauchen viel Strom. Die University of Cambridge schätzt, dass allein der Bitcoin jährlich mehr Strom verbraucht als die gesamten Niederlande. Und entsprechend viel CO2 emittiert. Ist diese kaum nachhaltige Technologie aus dieser Perspektive zukunftsfähig?

Ethereum, die aktuell dominanteste Smart-Contract-Blockchain, basiert noch auf der gleichen PoW-Technologie (Proof of Work) wie Bitcoin. Neue Wettbewerber*innen wie Solana, Tezos oder Polkadot arbeiten bereits mit der energiesparenden PoS-Technologie (Proof of Stake). Die Systeme unterscheiden sich durch das Auswahlverfahren, wer einen Eintrag an die Kette der Blockchain anhängen darf. Von dem geplanten PoS-Wechsel verspricht sich Ethereum einen um 99,7 % reduzierten Verbrauch.

Trotz allem, der Energiebedarf bleibt ein Problem und muss weiter hinterfragt werden. Allerdings betrachte ich auch funktionierende Lösungen und deren mittelfristiges Potenzial. Besonders, weil virtuelle Gegenstände manche physischen Güter und deren CO2-Abdruck substituieren können.

NFTs sind eng mit Kryptowährungen verbunden. Deren Kurse schwanken immens. Inwieweit können sich diese Währungen durchsetzen?

Richtig, Kryptokurse beeinflussen viele NFTs. Doch es ist heute schon möglich, NFTs in FIAT-Währungen – von Regierungen geführte Zahlungsmittel wie Euro, US-Dollar oder Schweizer Franken– zu handeln. Die wertvollsten NFTs orientieren sich zumindest teilweise auch an diesen.

Reale Vermögenswerte wie Immobilien oder Musikrechte können “tokenisiert” werden. Muss sich die Wirtschaft auf den Wandel zu digitalen Produkt- und Wertekonzepten einstellen?

Vorerst bleibt es ein spannendes Feld für Experimente. Vor allem physische Objekte wie Immobilien oder Industriegüter werden kurzfristig sicher nicht in relevantem Ausmaß tokenisiert gehandelt.

Doch die Möglichkeiten von NFTs sollten in diesen Bereichen weiter erkundet werden. Denn im Vergleich zu komplexen physischen Märkten wie Kunst oder Immobilien sind Tokens simpel und offen handelbar. Zudem erlauben die Blockchains die Kombination von NFTs mit Finanzprodukten wie Krediten oder Ratenkäufen.

Was hat Corona zum steigenden Handel mit virtuellen Objekten beigetragen?

Das kann wohl niemand seriös einschätzen. Mit Sicherheit war Corona ein Katalysator, wie für viele andere Digitalthemen. Auch das Niedrigzinsumfeld wirkte beschleunigend. Doch viele Entwicklungen bahnten sich lange vor Corona an.

Und was wird sich “nach Corona” ändern?

Wann ist nach Corona? Was ist nach Corona? Wie entwickeln sich bis dahin Technologien wie Augmented Reality, die physische und virtuelle Welten weiter verknüpfen kann?

Ich halte es für plausibel, dass es auch für einige digitale Trends analoge Gegenbewegungen geben wird. Wie häufig in der Geschichte. Dennoch werden sich virtuelle Welten und Objekte behaupten: Nicht alle und nicht zu jeder Zeit, unterm Strich aber schon.

Welche Argumente sprechen für und gegen den Einstieg als Anbietende oder Kaufende von virtuellen Werten?

Grundsätzlich spricht viel dafür, dass digitale Assets interessanter werden. Andererseits ist völlig unklar, welche Modelle und Anbieter sich durchsetzen werden.

Wer in diesen Sphären aktiv sein möchte, muss wissen, dass die Geschäfte hoch spekulativ und entsprechend riskant sind. Es kann jedoch nicht schaden, die Entwicklung neugierig zu verfolgen.

Nehmen wir an, ein Verlag möchte die Rechte an einem Buch als NFT vermarkten. Welche drei Tipps gibst du ihm für den Einstieg?

Der Handel von Rechten in NFT-Form ist ein sehr junges Feld und definitiv ein fortgeschrittenes Projekt. Meine Empfehlungen sind daher:

  • Starten Sie mit einem simpleren NFT-Projekt.
  • Setzen Sie auf eine Autorin oder einen Autor mit Affinität zu virtuellen Welten, die oder der selbst eine Community steuern kann.
  • Kooperieren Sie mit Organisationen, die in diesem Bereich erfahren sind.

Innovationsstrategien für Konzerne, Unternehmenstransformationen, Tech und Leadership sind seine Themen. Max Orgeldinger studierte International Management an der European Business School und gründete im Jahr 2011 TLGG Consulting mit. Das inzwischen 260-köpfige Unternehmen gehört zu Omnicom, dem größten Agenturnetzwerk der Welt. Der Wahlberliner ist zudem ein gefragter Redner und Mentor.

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Max Orgeldinger
Co-Founder und Managing Director von TLGG Consulting - NFT

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