Nils, der Begriff Social Selling boomt. Was verbirgt sich dahinter?
Social Selling ist eine Wortschöpfung. Sie beschreibt eine Strategie, die mindestens seit 2016 in Amerika weit verbreitet ist. Europäische Selbständige, Unternehmen und angestellte Expert*innen wollen inzwischen nicht mehr darauf verzichten. Durch digitale Business-Netzwerke wurde Kontakte recherchieren, Beziehungen aufbauen und Kunden gewinnen sehr einfach. Wenn es richtig gemacht wird.
Social Selling wird vor allem mit LinkedIn verbunden. Gibt es außer dieser hoch frequentierten Plattform weitere Dienste, die sich anbieten – zum Beispiel Xing?
Das Konzept ist an keine Plattform gebunden. LinkedIn schafft es jedoch, dass Social Selling mit dem Namen dieses Netzwerks assoziiert wird. Insbesondere durch den Fokus auf Content.
XING hingegen bildet diese Strategie nicht in solcher Perfektion ab. Viele, auch ich, präsentierten sich zunächst auf XING, switchten aber bald auf LinkedIn um. Wie die Akzeptanz als führendes und erfolgreichstes Business-Netzwerk in fünf Jahren aussieht, weiß niemand.
Wie klug ist es, LinkedIn und XING parallel zu bespielen?
Ich bin ein großer Fan des Fokussierens. Wer auf beiden Plattformen auftritt, jagt sozusagen zwei Hasen gleichzeitig. In vielerlei Hinsicht rentiert sich die Konzentration auf eine Sache, statt etliche nur rudimentär zu bedienen.
Was macht Content für Social Selling so wichtig?
Menschen, die Inhalte teilen und Fragen beantworten, erarbeiten sich Aufmerksamkeit und Vertrauen. Doch Content ist nur einer von vier Bausteinen. Social Selling umfasst ein aussagekräftiges Profil, den aktiven Ausbau des Netzwerks, regelmäßigen Content mit Mehrwert und schließlich die Interaktion über Nachrichten und Kommentare.
Social Selling braucht eine Personal Brand. Wie sollte eine eigene Marke aufgebaut sein?
Ich tue mich schwer mit dem Begriff Personal Brand, er klingt mir oftmals zu groß. Cristiano Ronaldo ist sicherlich eine Marke. Ich selbst würde mich nicht als solche betrachten, obwohl ich mit meinem Unternehmen ein ähnliches Spiel betreibe.
Aber unabhängig von der Terminologie müssen sich Vertriebskräfte oder Marketer*innen eindeutig positionieren. Sich mit ihrem Thema als “Go-to Girl oder Go-to Guy” etablieren, als bestmögliche Ansprechpartner*in. Ein vertrauensvolles Profil transportiert diesen Expert*innen-Status und generiert nachhaltige Leads. Neben der bewiesenen Kompetenz gehören professionelle Fotos und eine adäquate Gestaltung zu einem aussagekräftigen Profil – oder eben zu einer Personal Brand.
Welche Fehler begegnen dir in Profilen immer wieder?
Viel Profile sind, drastisch ausgedrückt, inhaltsleer. Würde ich in meinem Auftritt “selbständig im Bereich Marketing” schreiben, wüsste niemand, was ich tue, wem und wie ich helfen kann. Der Kern eines Profils muss spezifisch und verständlich sein. Unzählige der inzwischen mehr als 15 Millionen deutschsprachigen Nutzerinnen und Nutzer von LinkedIn haben das noch nicht verstanden.
Das zweite Problem sind lange Texte. Ausufernde Erklärungen möchte niemand lesen. Wer weit ausholen muss, um seine Aufgabe und den Nutzen für andere zu verdeutlichen, agiert womöglich ebenso kompliziert im Lösen solcher Aufgabe.
Wie wichtig ist “Schreiben” für LinkedIn-User*innen geworden?
Gute Texte entscheiden. Ich habe als Vertriebler selbst erfahren müssen, dass Marketing heute dazu gehört. Eine Direktansprache funktioniert völlig anders als Beiträge und Kommentare für eine große Community. Zu wirkungsvollem Schreiben gehört auch, den Lesenden eine klare Guideline zu “verkaufen”. Einen Call-to-Action, die zu einem Gespräch führen.
Das heißt, Strategie und Kreativität dominieren. Wie viele LinkedIn-Startende schaffen das ohne professionelle Hilfe?
Die wenigsten bekommen das intuitiv hin. Sicherlich sind sie clever genug, doch sie haben einen völlig anderen Job. Und stürzen sich mit Social Selling mitten ins Marketing. Die vielschichtigen Parameter eines wirksamen LinkedIn-Auftritts sind für sie Neuland. Als Experte erkenne ich recht genau, welche Auftritte professionell begleitet wurden und welche nicht.
Ein attraktives Profil lässt sich rasch einrichten. Doch welche Aktivitäten sind nötig, bis sich daraus Social-Selling-Erfolge ergeben?
Die wichtigste Aktivität ist alles andere als aktiv: Geduld haben. Das Setup ist schnell erledigt. Dann müssen sich die Newcomer*innen systematisch ein Netzwerk aufbauen und mit spannenden Inhalten für Aufmerksamkeit sorgen.
Trotzdem variieren die Zeitspannen bis zur ersten Interaktion. Ich habe beispielsweise ein Unternehmen aus der Industrie beraten, dessen Profil-Slogan genau zum Bedarf eines Zielkunden passte. Es resultierte ein Vertriebserfolg in den ersten Tagen. Das Erzeugen von Interesse und Vertrauen aufbauen kann aber auch Monate dauern. Potenzielle Leads beobachten den Markt häufig lange, bevor sie Anbietende kontaktieren.
Inwieweit korreliert die Geschwindigkeit eines Vertriebserfolgs mit Branchen, Produkten und Wettbewerb?
Das eben erwähnte Industrieunternehmen genießt mit seinen Produkten viele Alleinstellungsmerkmale und verkauft an spezialisierte Kunden. Es kann Kontakte schnell herstellen und nutzen.
Dem entgegen bewege ich mich als Social-Selling-Berater in einem Markt mit großem Wettbewerb. Ich kann nicht direkt auf mögliche Kundschaft losgehen. Sie bekommen täglich “nervige” Anfragen. Ich muss durch aufmerksamkeitsstarke Inhalte meinen fachlichen Vorsprung und meine Position an der Spitze dieses Markts kommunizieren.
Werden LinkedIn-Kommentare unter fremden Beiträgen unterschätzt?
Ja, denn sie haben enorme Power. Wenn sie gut sind. Wer einer Idee neue Impulse hinzufügt oder fundiert eine andere Meinung vertritt, erreicht das komplette Netzwerk des Schreibenden. Und damit auch alle, die den Post verfolgen. Das kann erheblichen Traffic auslösen.
Ich rate Einsteigenden, sich mit kompetenten Kommentaren “warmzumachen”, bevor sie eigene Beiträge posten. Denn diese müssen sprachlich und handwerklich perfekt sein.
Wie sieht die optimale LinkedIn-Kommunikation aus?
Social Selling bedeutet Vertrauen aufbauen. Dafür muss ich in Kontaktpunkten denken und beobachten, wie oft mich jemand schon wahrgenommen und beispielsweise auf Beiträge reagiert hat.
Wann und wie ich diesen Kontakt intensiviere, plane ich in meinen Kommunikationsstrategien.
Es gibt zwei Möglichkeiten: Inbound und Outbound. Wozu rätst du deinen Klient*innen?
Eine Inbound-Strategie basiert auf der Hoffnung, dass guter Content gutes Feedback generiert. Doch Hoffnung ist nie eine Strategie. Es gehört immer ein Plan B dazu. Bringt ein Beitrag nicht den gewünschten Erfolg, was durchaus passieren kann, muss ein proaktiver Schachzug folgen. Auch das ist ein Zusammenspiel.
Jedoch strapazieren viele Nutzende das Portal für brachiale Kaltakquise über direkte Nachrichten. Sie meinen, das wäre Social Selling. Sie wissen es nicht besser und werden damit kaum Erfolg haben. Content bringt letztlich die besseren Termine. Die Ansprechpartner*innen sind bereits aufgewärmt, informiert und haben echtes Interesse. Es fehlt nur der Abschluss. Reine Outbound-Strategien versetzen Anbietende stets in eine Überzeugerrolle.
Was muss man bei persönlichen Nachrichten mit Vertriebsfokus dringend beachten?
Es gibt durchaus charmante Nachrichten-Strategien, die Zielkund*innen nicht nerven. Sie funktionieren langsam und bieten Mehrwerte, beispielsweise durch angehängte – auf Nachfrage legitimierte – PDFs zu dem Kernthema. Ebenso kann die direkte Ansprache sinnvoller sein als ein Kommentar, wenn aus einem Beitrag ein klarer Bedarf hervorgeht und zu Angeboten animiert.
Zudem ist es Mentalitätssache. Die Amerikaner schreiben fast nur Nachrichten und niemand beschwert sich darüber. Hauptsächlich die Deutschen reagieren etwas giftiger, wenn sie schlechte Akquisenachrichten erhalten.
“Der Ton macht die Musik”. Welchen Wert hat die Persönlichkeit in der LinkedIn-Kommunikation?
Es gibt Verkäufer*innen, die als Person spontan gut ankommen. Andere definieren sich mehr über ihr Angebot. Das hat großen Einfluss auf die individuelle Strategie. Erstere haben den Vorteil, dass sie offensiver auftreten dürfen, doch sie müssen auch inhaltlich liefern.
Unternehmen profitieren davon, wenn Mitarbeitende auf LinkedIn als “Testimonials” sichtbar sind. Wie sollten sie das Engagement ihrer Crew auf der Plattform fördern?
Ich kenne mittelständische Firmen bis zu DAX-Unternehmen, die ihren Beschäftigten sehr viel Freiraum geben. Nur wenige generelle Leitlinien schränken sie ein. Zu den Vorbildern zählen Vodafone, Siemens oder auch der HR-Bereich von REWE.
Mustergültig handelt auch SAP. Die Mitarbeitenden aus Marketing, Vertrieb und HR präsentieren sich mit eigenen Accounts und Personal Brands. Sie benutzen Farben außerhalb der CI und posten, was sie spannend finden. Diese Ungebundenheit macht den Erfolg aus. Universelle und einfach nur geteilte Beiträge funktionieren nicht.
Sollten Angestellte ihre persönlichen LinkedIn-Profile in der Arbeitszeit pflegen dürfen?
Natürlich, LinkedIn gehört als Vertriebstool zu der täglichen Routine wie jedes Telefonat. Vorausgesetzt, die Mitarbeitenden setzen LinkedIn erfolgsorientiert für das Unternehmen ein.
Social Selling ist eine persönliche Art des Marketings. Wie beurteilst du die Resultate gegenüber der klassischen medialen Werbung?
Social Selling bietet den Vorteil, dass Vertriebler*innen nun selbst Marketing betreiben können. Mit kleinem Aufwand, aber beachtlichen Ergebnissen. Doch Broschüren oder Plakate haben je nach Ziel ebenso ihre Berechtigung. Es ist ein Zusammenspiel – und ein Rechenexempel. Ein kostenloser Beitrag in einem Feed erreicht mitunter mehr Reichweite als eine teure Anzeige in einer Fachzeitschrift. Und führt zu regem Austausch.
Nils, du bist selbständiger Berater für Personen und Unternehmen, die sich auf LinkedIn profilieren wollen. Was versprichst du deinen Auftraggebenden?
Ich unterstütze meine Klient*innen bei der Leadgenerierung durch optimale Sichtbarkeit und Strategien. Doch ich gehe immer einen Schritt weiter, denn Personal Branding hört auf, wenn es um Verkaufen geht:
- Messbare Erfolge sind für mich nicht nur Leads, sondern qualifizierte Termine.
- Meine Beratung ist immer individuell und basiert auf Strategien, die ich selbst entwickelt oder weiterentwickelt habe.
Mein Unternehmen verfolgt ein recht exklusives Geschäftsmodell. Ich schleuse nicht hunderte Aufträge durch, sondern habe einen ausgewählten Kund*innenkreis. Dem liefere ich das Beste, was es am Markt gibt. So grenze ich mich hoffentlich vom Wettbewerb ab.
Welche drei Tipps gibst du einer Vertrieblerin oder einem Vertriebler für den Start in die eigene Social-Selling-Strategie auf LinkedIn?
- Räum dein Profil auf. Ein PDF mit der Anleitung findest du in meinem Profil.
- Beschreib, was du machst, poste Selfies mit Kunden, berichte von einer Messe. Das ist nicht der spannendste Beitrag, aber ein sinnvoller Anfang, deine Reise zu dokumentieren.
- Entwickle eine Routine, präsentier dich als Konstante: Arbeite täglich eine halbe Stunde auf LinkedIn und vernetz dich. Veröffentliche regelmäßig einen Beitrag. Mit geplanten Abläufen wirst du jeden Tag besser, wie im Sport.