Herr Reiser, als selbständiger Projektexperte sind Sie darauf spezialisiert, dass Unternehmen ihre Compliance bewahren, also alle Gesetze und Regularien gewissenhaft einhalten. Dem Thema Geldwäsche widmen Sie sich besonders intensiv. Darf man sich ihren Beruf wie in einem Thriller vorstellen, in dem Sie wie Liam Neeson Kriminelle jagen?
Wie in einem Hollywoodfilm läuft es nicht ab. Ich bin eher damit beschäftigt, alle relevanten Gesetze in der aktuellsten Fassung zu lesen, zu verstehen und auf die Geschäftsprozesse meiner Mandanten zu übertragen.
Und ich muss die von meinen Kunden angebotenen Güter und Dienstleistungen überblicken, also permanent in der Lage sein, mögliche Schwachstellen gegenüber den aktuellen aufsichtsrechtlichen Anforderungen der Geldwäscheprävention zu erkennen und anschließend zu beseitigen. Außerdem unterstütze ich Unternehmen dabei, aktuelle Geldwäschevorfälle zu untersuchen.
Sie arbeiten vor allem für Banken und Versicherungen. Sind auch andere Unternehmen zur Einhaltung des Geldwäschegesetzes verpflichtet?
In den vergangenen Jahren ist zu beobachten, dass Geldwäsche nicht nur über Banken und Versicherungen, sondern auch über sogenannte Güterhändler abgewickelt wird. Diese handeln mit hochwertigen Waren wie Autos, Schiffe, Gemälde oder Immobilien. Auch solche Unternehmen sind verpflichtet, ein eigenes Risikomanagementsystem gegen Geldwäsche aufzubauen.
Wie hat sich die Wahrnehmung für das Problem Geldwäsche verändert?
Durch medienwirksame Präzedenzfälle sowie die jüngeren und sehr strengen Anpassungen des Geldwäsche-Gesetzes ist das Bewusstsein für das Thema zuletzt deutlich gestiegen. Vor ein paar Jahren hafteten Unternehmen mit maximal 100.000 Euro, wenn Versäumnisse von den Finanzaufsichten festgestellt wurden. Heute liegt die Haftungsgrenze bei zehn Prozent des Jahresumsatzes. Viel schmerzlicher als Sanktionen wirken oftmals die Reputationsschäden, wenn ein Unternehmen aufgrund von Geldwäsche-Vorgängen negativ in der Presse auffällt. Konsumenten und Lieferanten reagieren heutzutage deutlich sensibler. Unternehmen können es sich schlicht nicht mehr leisten, die Compliance nicht zu fokussieren.
Das ist für einen Berater eine komfortable Situation: Arbeit ist anscheinend reichlich da.
Das ist die eine Seite. Andererseits werden Kriminelle durch die schärferen Gesetze und die zunehmenden Bemühungen der Finanzunternehmen immer kreativer. Die Schlupflöcher, die sie finden, werden kleiner. Deshalb ist es für mich ebenfalls schwieriger geworden, diese Lücken im engmaschigen Netz zu erkennen oder noch besser: sie zu antizipieren, ehe eine Schneise entstehen kann. Es ergibt sich teilweise ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen der Prävention und den Kriminellen.
So haben Kriminelle im Zuge der Pandemie und den Shutdowns ihre kriminellen Machenschaften auch um „online“ erweitert.
Kommen wir zum Finanzwesen zurück. Wie häufig passiert es, dass Geldwäsche-Warnsysteme anschlagen?
Das geschieht wahrscheinlich in jedem Institut mehrmals täglich. Geldwäsche ist für viele kriminelle Organisationen – wie beispielsweise Clans – trotz der wachsenden Hindernisse immer noch attraktiv. Selbst wenn nur zehn Prozent des ursprünglichen Betrages erfolgreich gewaschen werden und der andere Teil für sogenannte Transaktionskosten verloren geht, ist das ein “gutes“ Geschäft für die Kriminellen. Die steigende Anzahl der Alarmierungen resultiert aber auch aus den strengeren Kontrollen der Unternehmen. Die Systeme sind sehr genau darauf kalibriert, jede kleine Unregelmäßigkeit zu erkennen. Das führt dazu, dass es auch häufiger Fehlalarme gibt. Mit der wachsenden Anzahl von Alarmierungen besteht für Banken die Herausforderung, diese Fehlalarme effizient zu prüfen. Es wird schwieriger, die Meldungen als “false” oder “true positive” zu kategorisieren. Sobald eine Bank jedoch nicht alles tut, um Geldwäsche zu verhindern, droht– teurer – Ärger mit der Aufsicht.
Wann und wie schlägt so ein System an?
Banken lernen ihre Kunden, die sogenannten Wirtschaftssubjekte, sehr genau kennen. Ein Konto sagt viel über seinen Besitzer aus. Schnell lassen sich aus den regelmäßigen Transaktionen feste Gewohnheiten ablesen. Wenn diese plötzlich sehr markant oder wiederkehrend durch ungewöhnliche und auffällige Summen oder auch andere Alarmsignale, sogenannte „Red Flags“ zu Steueroasen oder Offshore-Jurisdiktionen durchbrochen werden, muss eine Bank genau hinsehen. Das kann auch ein absolut harmloser Vorgang sein wie ein Erbe oder ein legaler Nebenverdienst. Die Regulatorik schreibt es jedoch vor, diesen Meldungen sehr gewissenhaft nachzugehen.
Besonders bei langfristigen Themen wie der Geldwäscheprävention frage ich mich, zu welchem Zeitpunkt Sie idealerweise als Berater in ein Projekt einsteigen.
Prinzipiell ist für mich beinahe jeder Moment denkbar. Ich unterstütze Unternehmen beispielsweise dabei, das Geldwäsche-Risikomanagementsystem und die schriftlich fixierte Ordnung in Form von Richtlinien und Anweisungen zu konzipieren. Ich entwickle dann Prozesse und Strategien, mit denen die Mitarbeiter einer Firma die Compliance-Richtlinien noch feingliedriger einhalten können und so das Risiko für operative Fehler minimieren. Ich berate Unternehmen, wenn die Personaldecke dünn und ein Blick von außen umso nötiger ist. Teilweise übernehme ich in solchen Konstellationen auch die Funktion des externen Geldwäschebeauftragten, in dem mich das Unternehmen als Auslagerungspartner bei der zuständigen Aufsichtsbehörde angibt. Ferner begleitete ich IT-Projekte, die das Ziel haben, die Kontrollmechanismen zu präzisieren und gleichzeitig Aufwände zu verschlanken. Unternehmen müssen und wollen beim Thema Compliance betriebswirtschaftlich denken. Der bestmögliche Rahmen zu den geringstmöglichen Kosten wird angepeilt.
Ab wann erkennen Sie, ob ein Unternehmen es ernst meint mit den präventiven Maßnahmen und nicht nur Normen erfüllen möchte?
Das wird in der Zusammenarbeit relativ schnell ersichtlich. Wobei Unternehmen allein aus wirtschaftlichen Gründen in der Regel sehr akkurat arbeiten. Es geht nicht nur um etwaige Strafzahlungen, sondern auch um Reputation. Die ist für Finanzdienstleister sehr viel wichtiger geworden. Früher suchten sich Banken ihre Kunden aus, heute ist es umgekehrt. Die Klienten wählen aus einer Fülle an Alternativen. Wem ein zwielichtiges Image anhaftet, der verspielt zunächst das Vertrauen und verliert dann die Kunden. Die jüngeren Gerichtsurteile zur Steuerhinterziehung im Ausland und Geldwäsche zeigen, dass die breite Gesellschaft solche Verbrechen nicht mehr als Kavaliersdelikt tolerieren will. Zusammengefasst: Früher konnte es einem Finanzdienstleister fast egal sein, woher gewisse Vermögen kamen. Sie hatten kaum Ärger, wenn das Geld schmutzig war. Heute ist es für sie existenzbedrohend, wenn das die Denke ist.
Das Thema Compliance wirkt relativ undankbar. Warum haben Sie sich darauf spezialisiert?
Ich bin gelernter Bankkaufmann und habe anschließend Wirtschaftswissenschaften an der Universität Hohenheim studiert. Wir hatten eine tolle Bibliothek mit Unmengen an hochwertiger Fachliteratur. Zum Thema Compliance gab es jedoch nur drei schmale Werke. Das steigerte meine Neugier, es wirkte wie ein Gebiet, das viele Möglichkeiten beherbergen könnte. Außerdem wollte ich meine Interessen für die Finanzwirtschaft und das Rechtswesen beruflich ausleben. Wenn ich aus heutiger Sicht darauf zurückblicke, war es eine weise Entscheidung, auf das damals noch junge Berufsbild des Compliance-Experten zu setzen.
Was muss ein exzellenter Compliance-Berater noch mitbringen außer eine gewisse Hingabe für Konformität?
Integrität, Loyalität, sehr viel Sorgfalt sowie einen Blick fürs Detail, ohne das große Ganze aus den Augen zu verlieren. Wer nicht integer ist, also Dinge vertraulich und gewissenhaft erledigt, ist in einem Projektteam, das Compliance-Richtlinien überwachen will, nicht gut aufgehoben. Zudem verlangt es Sorgfalt, weil wir in der Compliance viele zusammenlaufende Daten, schriftliche Dokumente und immer neue Rechtsgrundlagen überblicken und einkalkulieren müssen.
Wie sieht es mit Kreativität aus? Ist dafür überhaupt Platz in einem Dschungel aus Paragraphen und Zahlen?
Die Fähigkeiten zum Perspektivenwechsel, also zum Hineindenken in finanzkriminelle Strukturen, ist sehr wertvoll. Wie würden wir Geld waschen und Geldströme verschleiern, wenn das unsere Aufgabe wäre? Wenn ich in so eine Rolle eintauche, sehe ich die Stärken in den Abwehrmechanismen, kann aber auch Schwächen rechtzeitig enttarnen und Lösungen anstreben. Wer schmutziges Geld hat und es durchbringen will, probiert vieles aus. Daher sollte sich auch ein Compliance-Beauftragter alles vorstellen können. Es gibt nichts, was es nicht gibt.
Ihre Rolle als Berater in Unternehmen stelle ich mir menschlich sehr schwierig vor. Sie müssen einerseits ihrem Team voll vertrauen können. Andererseits lebt ein Compliance-Berater von der Eigenschaft, skeptisch zu sein.
Ich bewege mich zeitweise auf einem schmalen Grat. Mangelnde Integrität innerhalb einer Compliance-Organisation stellt nicht zwingend das größte Risiko dar. Vielmehr sind geeignete Mechanismen bei der Einstellung und während des Beschäftigungsverhältnisses in der sogenannten „First Line“, bei den Kundenbetreuern, unerlässlich, da diese im direkten Kontakt mit dem Kunden – also auch mit Kriminellen – stehen.
Auf der einen Seite ist die Aussage richtig: Ich darf nicht zu schnell vertrauen. Wenn jemand im Team nicht integer ist, kann diese Personalie das gesamte Projekt gefährden. Andererseits ist ein vertrauensvoller Umgang besonders in komplexen Projekten essenziell für den Erfolg.
Wie lernen Sie zu vertrauen?
Ich gucke zu Beginn des Kennenlernens so genau wie möglich hin. Bei Bewerbungsgesprächen gibt es ein paar Tests, die sich für mich als verlässlich erwiesen haben. Ich frage zum Beispiel nach, welche Regeln oder Gesetze ein Bewerber schon gebrochen hat. Die bloße Reaktion auf die Frage verrät mir wichtige Informationen. Die meisten sagen, sie seien gelegentlich zu schnell gefahren; andere behaupten, dass ihnen nichts Größeres einfiele, wiederum andere berichten kleinere oder mittlere Vergehen.
Wie sollte der Gesprächspartner darauf antworten?
Eine richtige Antwort gibt es nicht per se. Ich achte auf Zwischengeräusche. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind mir wichtiger.
Und worauf achten Sie als gewissenhafter Compliance-Berater noch?
Auf die Erscheinung des Kandidaten oder der Kandidatin. Passt der Lebensstil zu den beruflichen Parametern? Ich stelle ähnliche Fragen wie Banken beim sogenannten Geldwäsche-Monitoring, suche also nach Ungereimtheiten beim Transaktionsverhalten und Volumen. Wer ein – für seine Gehaltsklasse – zu teures Auto fährt oder beispielsweise mit markanten Uhren stark aufträgt, erregt bei mir Argwohn. Lebt jemand auf Kredit? Gibt es zusätzliche, nicht offengelegte Verdienstquellen? Diese Zweifel färben negativ auf die Integrität ab. Nach aktuellen Erkenntnissen handelten beim Wirecard-Skandal beispielsweise Experten bei der Aufsicht, die die Aufgabe hatten, den Finanzdienstleister und seine Geschäfte zu überwachen, selbst mit Aktien und Derivaten des Konzerns. Das ist in einer Compliance-Abteilung untragbar.
Welche Herausforderungen sehen Sie für die Zukunft?
Die Herausforderungen der Zukunft liegen auf verschiedenen Ebenen. So lässt sich eine zunehmende Digitalisierung von Finanztransaktionen – nicht zuletzt in Form von Crypto Currencies – beobachten, deren Vermögensherkunft häufig schwerer zu durchblicken ist. Zusätzlich geht damit ein stets wachsendes Datenvolumen einher, welches die Herausforderung mit sich bringt, die Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Auch die internationale Zusammenarbeit zwischen Instituten, Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden stellt eine immer wichtigere Herausforderung dar. Nur wenn wir diese meistern, können wir international agierende Banden an ihren kriminellen Machenschaften hindern und diese entsprechend sanktionieren. Vielfach endet die Strafverfolgung an den Außengrenzen des jeweiligen Landes.
Anpassungen der Regulatorik werden uns immer wieder fachlich herausfordern. Auch gewinnen die Konstrukte, in denen ich arbeite, an Komplexität. Es gibt mehr Fachbereiche, Aufteilungen, stetig innovative Geschäftspraktiken. Dazu existieren mittlerweile mehrere Modelle als die klassische Beziehung zwischen einem Kunden und einem Unternehmen. Wer in einem Geflecht aus mehreren Holdings welche Verantwortlichkeiten trägt, ist beispielsweise ein typisches zeitgemäßes Problem.
Wo Herausforderungen sind, gibt es auch Chancen. Welche bewerten Sie als besonders erstrebenswert?
Künstliche Intelligenzen sind ein Thema, auf das wir erwartungsfroh blicken können. Technologien wie Blockchain oder Machine Learning bieten uns die Möglichkeiten, Prozesse zu präzisieren und automatisieren. Das spart Zeit, langfristig finanzielle Aufwände und wir können die Finanzkriminalität mit noch stärkeren Werkzeugen eindämmen. Und: KIs sind, richtig eingesetzt, nicht korrumpierbar. Erste Ansätze dazu werden bereits bei forensischen Aufträgen mit Bezug zu Geldwäsche erfolgreich eingesetzt. Auch lässt sich die Trefferbearbeitung von Auffälligkeiten aus dem Geldwäsche-Monitoring deutlich effizienter gestalten. Das gelingt durch die Priorisierung und Bildung von Analogien in den Bearbeitungsprozessen.
Der Compliance-Bereich der Zukunft wird durch den Einsatz dieser Mittel schlanker und effizienter. Der Mensch als Einsatzfaktor kann sich auf die Umsetzung ethischer und qualitativer Fragestellungen konzentrieren, wenn quantitativ geprägte Kontrollhandlungen zunehmend von Robotern erledigt werden können. Dabei dürfen wir nicht die sogenannte Prüfungssicherheit vergessen. Die Aufsicht steht technischen Innovationen offen gegenüber. Erwartet von den Banken aber, dass diese in der Lage sind, die Funktionsweise der Technologien transparent zu überblicken.