1. Das erste große Projekt als selbständiger Unternehmer
Es begann mit einem flauen Gefühl.
Bei einem Versicherungskonzern im Rheinland bekam ich mein erstes großes Mandat als selbständiger Solution Architect. Eine tolle Aufgabe. Ein großer Kunde. Viel Verantwortung. Ich war glücklich. Spürte aber zugleich ein dumpfes Gefühl.
Ich hatte dieses Projekt nicht am Ground Zero übernommen, nicht am Beginn, sondern in einem fortgeschrittenen Prozess. Vor mir war bereits ein anderer externer Experte tätig gewesen. Ich setzte seine Arbeit fort. Und dabei bemerkte ich schnell und anerkennend: Fachlich war alles sauber gelaufen, die Vorarbeit war sorgfältig erledigt worden.
Warum also sein Abschied? Anfangs dachte ich viel darüber nach. Waren es familiäre Gründe? Ich, Vater einer kleinen Tochter, pendelte für das Projekt von Sinsheim an den Niederrhein, war vier Tage weg. Zumindest Heimweh konnte ich als Trennungsgrund nachvollziehen. Diese Ausgangslage, die für mich nicht in allen Details greifbar war, sensibilisierte mich sehr für die Aufgabe und ihre Zwischentöne.
2. Was macht überhaupt ein Solution Architect?
Als Solution Architect begleite und berate ich Unternehmen und Organisationen bei der Einführung neuer Technologie-Lösungen. In der Solution Architecture darf ich zunächst untersuchen, wie ich ein Problem lösen kann und setze dann die entsprechenden Bausteine für eine erfolgreiche Lösung zusammen. Dazu muss ich mich nicht nur mit den technischen Herausforderungen auskennen, sondern auch die Vision der Idee und Geschäftsprozesse eines Unternehmens verstehen.
Der Lösungsentwurf, also das Konzept, entsteht zunächst abstrakt und wird erst im Projektverlauf immer konkreter. Häufig orientiert sich die Lösung an Mustern, sogenannten Pattern, und Best-Practices im Umgang mit den gewählten Technologien. Solche Standards führe ich im Laufe eines Projektes aktiv ein und helfe, die Ideen dahinter zu verstehen.
Sobald die Umsetzung der Software beginnt, rücke ich in eine neue Verantwortlichkeit. Ich muss die Teams begleiten und beraten, die die Solution Architecture aktiv auf Softwarebasis umsetzen. Ich muss Risiken einschätzen, selber agieren und sicherstellen, dass die in der Entwicklung befindliche Lösung tatsächlich den gewählten Standards und den definierten Anforderungen entspricht. Das Wort “Überwachen” ist mir dabei eher fremd. Ich sehe mich vielmehr als Teil eines Projektteams und versuche, durch klares Feedback, meinen unbefangenen Blick von außen und meine Kommunikation alle Stakeholder auf die gleiche Seite zu ziehen.
3. Ins Reden kommen
Der Auswahlprozess für so ein Projekt ist sehr intensiv. Es werden viele Fragen gestellt.
Ich war etwas angespannt aber vor allem freute ich mich auf die neue Aufgabe. Es war der erste große Auftrag für ein so bekanntes und renommiertes Unternehmen. Besser gesagt: Er sollte es sein. Zuvor hatte ich neben einigen Jahren in der Beratung und bei Stationen in der Softwareindustrie Erfahrungen gesammelt. Ich hatte bewiesen, dass ich mehr kann, als Projekte mit einer großen Firma im Rücken erfolgreich umzusetzen. Ich hatte mir – auch dank meiner Mitgründer – die Selbständigkeit und das eigene Unternehmen zugetraut. Ich wusste, was ich kann und was nicht. Doch wenn man vor einem Auswahlgremium sitzt, das Fragen stellt, spitz genug, um Schneisen zu schlagen, denkt man genau nach, was man erzählen sollte.
Dass der Prozess für mich erfolgreich laufen würde, spürte ich, als ich über meine Erfahrungen aus abgeschlossenen Projekten sprechen durfte. Ich kam ins Reden, niemand unterbrach mich mit Zwischenfragen. Das wertete ich als positives Signal. Mir wurde zugehört, aufmerksam und interessiert. Das sah ich. Als Berater hatte ich früh lernen müssen, was es heißt, wenn einem nicht gefolgt wird.
4. Datenströme, mit "State of the Art"-Technologie, zukunftstauglich machen
Ich betrat zum ersten Mal die mehrstöckige Projektfläche mit hunderten Arbeitsplätzen. Helles Licht, viele Bildschirme, der Sound klackender Tastaturen. Mir wurde bewusst, wie gewaltig dieses Projekt wirklich war.
Sehr grob zusammengefasst ging es darum, digitale Kernprozesse des Unternehmens, die noch über verstaubte Mainframes, also über Großrechner aus vorherigen Jahrzehnten liefen, auf moderne Systeme zu verlagern. Es sollten Lösungen entstehen, mit der die gewaltigen Datenströme, die bei einem Versicherungskonzern alltäglich sind, besser und sicherer gelenkt werden.
Am Ende sollte meine Arbeit in dem Projekt dafür sorgen, dass die Versicherung einheitliche, konsolidierte Vergütungsprozesse anbieten und rascher auf Marktveränderungen reagieren kann. Mit den alten Mainframes sind diese modernen Lösungen, die ganz andere Datenflüsse verlangen, nur schwer kompatibel.
5. Menschen für Konzepte begeistern
Die Probleme, die es zu lösen galt, waren für mich schnell verständlich. Die gute Arbeit meines Vorgängers hatte mir – wie eingangs erwähnt – den Projekteinstieg zusätzlich erleichtert. Jetzt durfte ich die neue Architecture designen.
Ich komme aus der Entwicklung, ich bin mit Zahlen und Code vertraut. Ich fühle mich technisch und gedanklich sehr geborgen in diesem Feld. Was ich aber in diesem großen Projekt lernen musste: Eine gute Solution Architecture ist am Ende auch das Ergebnis von strategischer Kommunikation innerhalb des Projektpartners.
Dadurch, dass ich sensibilisiert war für dieses Thema, ich stets im Hinterkopf behielt, dass ich scheitern könnte, obwohl fachlich alles passt, ging ich sorgsam vor. Ich sprach mit allen Entscheidern und Stakeholdern, die innerhalb des Kunden für mich relevant waren. Ich machte mir Notizen über diese Fachkräfte, notierte, worauf sie Wert legen, welche Themen ihr Engagement besonders entfachte. In einem früheren Projekt hatte ich von einem klugen Kollegen gelernt, dass es neben einer wirklich guten Idee vor allem eines bedurfte: Menschen, die bereit waren, sich für sie zu begeistern und sie zu verteidigen. Ein fachlich hervorragendes Gedankengeflecht ist wertlos, wenn du keine Mitstreiter und Mitstreiterinnen findest.
Ich fand diese Unterstützung.
6. Kein Platz für Schwammigkeiten
Mit diesem Support ging ich in die Präsentationen meiner Patterns. Einem Gremium von zahlreichen Spezialisten auf Senior-Level stellte ich meine konzeptionelle Arbeit vor. Bis zu 20 Personen saßen – vor Corona – in diesem Raum und lauschten meinen Erklärungen.
Wie gut und hilfreich es war, in dieser Arena Unterstützer meines Konzepts zu wissen, so sehr wusste ich auch, dass es keinen Platz für Fehler oder andere Ungenauigkeiten gab.
Eine Unsicherheit, ein Wanken bei einer kritischen Frage, hätten eine ausgefeilte Idee mit dem Makel des Zweifels überzogen. Ich wusste, dass es von diesem Gremium abhängig war, ob ich meine Pläne auf die Entscheiderebene hieven dürfte.
Diese Prozesse mitzumachen, sich dieser Herausforderung bewusst zu werden, nervös zu sein – das tat mir unwahrscheinlich gut. Ich lernte, dass mein Job eben nicht nur aus dem Abwägen von hochtechnologischen Lösungsoptionen und dem permanenten Gewinn von neuem Know-how besteht. Ich musste auch in der Lage sein, mich in einem Gestrüpp aus vielen Interessen zu bewegen.
Ich musste meine eigene Arbeit so präzise durchdringen, sodass ich meine Lösungen einfach und verständlich kommunizieren konnte. Ich erfuhr, wie viel Überzeugungsarbeit ein kompetenter Berater leisten muss.
7. Erfolgreich dank starker Partnerschaften
Am Ende war das Projekt bei der Versicherung – für mich – ein voller Erfolg. Viele Patterns haben im Konzern Anwendung gefunden, manche wurden für andere Vorhaben adaptiert. Ich schaffte es, mit meinen Designs beim Chief-Architect zu überzeugen. Vor diesem Termin hatte ich meinen Vortrag mehrmals geprobt. Als der Termin vorbei war, nicht überstanden, sondern gelungen, spürte ich ein neues Selbstvertrauen. Ich denke, Selbstzweifel und Unsicherheiten zu überwinden, gehört zu den wichtigsten ersten Etappen auf dem Werdegang zu einem verlässlichen und erfolgreichen Berater.
Genauso wie echte Partner, was in diesem Text eigentlich zu spät erwähnt wird. Ohne meine Kollegen bei der MMK DIGITAL, so heißt unsere Beratungsfirma mit Sitz in Ludwigsburg, und unserem Partner KRONGAARD, der den Need des Unternehmens mit meinem Know-how verband, hätte es diese kostbaren Erfahrungen und den Erfolg gar nicht gegeben.
In Momenten wie diesem wird einem auch als selbständigem Projektexperten ein sehr prägnanter wie wahrer Satz bewusst:
Wir sind nur so gut wie das Team, zudem wir partiell oder langfristig gehören dürfen.